Süddeutsche Zeitung

Franken und Altbayern:Vom feinen Unterschied zwischen Burschenschaftern und Kerwa-Burschen

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Spitzenjuristen aus München gelten als schneidig und auffassungsschnell. In Amtsgerichten in der Provinz aber kann es durchaus zu Verständigungsproblemen kommen.

Von Olaf Przybilla

Wer mal zu Gast bei Gericht war, der ahnt, dass Humor dort nicht zu den Kernphänomenen zählt. Unfreiwilliger Humor kommt vor, kann aber zu Bauchschmerzen im Zuschauerraum führen. Weil: Auf wenig reagieren Richter allergischer als auf schlecht unterdrückte Lachbekundungen verfahrensunbeteiligter Nichtjuristen. Da fliegt man ganz schnell aus dem Saal.

In einem Amtsgericht in Franken ging es kürzlich um sehr Ernsthaftes: Ein junger Mann mit bräunlicher Gesinnung hat sich in Brandstiftung versucht, die Generalstaatsanwaltschaft reist eigens aus München an. Etliche Zeugen sagen aus. Einer davon wird gefragt, ob er gut bekannt sei mit dem Angeklagten. So mittel, antwortet der. Man kenne sich halt "aus der Burschenschaft".

Der Begriff "Burschenschaft" veranlasst den Richter dazu, hektisch in seinen Unterlagen zu blättern. Burschenschaft? Dazu habe er nichts in den Akten gelesen. Zumal - das sagt der Richter nicht - sowohl Zeuge als auch Angeklagter anscheinend aus eher nichtakademischem Milieu stammen. Der Zeuge, ein Dialektsprecher, kann das rasch aufklären. Danach weiß jeder im Saal: Ah, "Burschenschaft" hat hier nichts mit sinisteren, womöglich rechtslastigen Studentenverbindungen zu tun.

Fast jeder weiß es. Nur der Staatsanwalt nicht. Der ist schneidig wie aus dem TV-Sonntagsprogramm. Wirkt aber plötzlich unsicher. Vielleicht sei er eben unaufmerksam gewesen, hebt er an. Aber bitteschön: Wie sei das mit dieser Burschenschaft?

Erstes unterdrücktes Glucksen im Saal, der Zeuge wirkt nun komplett ratlos. Der Staatsanwalt will trotzdem mehr wissen: Ob er das bitte mal ausführen könne. Lange Pause des Zeugen, angedeutetes Kopfschütteln: Mein Gott, im Dorf sei man halt gemeinsam "Kerwa-Bursche" gewesen.

Woraufhin alles geklärt sein sollte - der Münchner Staatsanwalt aber erst recht schaut, als habe er den leibhaftigen Yeti in Oberfranken gesehen. Kerwa? Der Verteidiger, ein Ortsansässiger, hilft quer durch Gerichtssaal: Kirchweih heiße das! Was dem Staatsanwalt offenkundig bedingt weiterhilft. "Ein Fest?", fragt er.

Richtig, ein Fest, Herr Oberstaatsanwalt. Und der Zeuge war da mal Funktionär in ortsüblicher Tracht. Manchmal, so lehren solche Momente, kann die Verständigung zwischen Stadt und Land, zwischen dem Süden und dem Norden Bayerns etwas länger dauern - und im Gerichtssaal gegebenenfalls zu Bauchschmerzen führen.

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