Süddeutsche Zeitung

Bayerischer Landtag:Streit um Sargpflicht im Freistaat

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Die SPD-Fraktion kritisiert die schleppende Umsetzung der Lockerung, wie sie das Parlament 2019 beschlossen hat. Bei muslimischen Bürgern keime nun Sorge auf.

Von Johann Osel, München/Nürnberg

Es gibt Parlamentssitzungen, die bleiben manchen Abgeordneten lange in Erinnerung: als Stunden des Glücks und der Zufriedenheit. Dann nämlich, wenn ein Herzensprojekt eine Mehrheit findet. Bei Arif Taşdelen, SPD-Abgeordneter aus Nürnberg und integrationspolitischer Sprecher seiner Fraktion, ist solch ein Tag der 12. November 2019. Da hat der Landtag die Sargpflicht gelockert. "Bestattungsverordnung den Bedürfnissen der Gesellschaft anpassen", versprach der Antrag: "Jeder Mensch hat ein Recht, nach seiner weltanschaulichen und insbesondere seiner religiösen Haltung auch ohne Sarg bestattet zu werden", soweit öffentliche Belange wie anderes Recht dem nicht entgegenstünden. Für Taşdelen, der das Thema über viele Jahre forcierte, war es "ein historischer Tag für alle muslimischen und jüdischen Menschen in Bayern". Es fehlte zur Umsetzung nur eine Verordnung. Sie fehlt bis heute.

Wer stirbt, braucht einen Sarg - diese Vorschrift gilt nur noch in einzelnen Bundesländern, die meisten haben den Passus reformiert, wonach in religiös und weltanschaulich begründeten Fällen etwa ein Leichentuch Verwendung finden kann. Immer wieder, ein Jahrzehnt lang, hatte sich der Landtag mit der Frage einer Liberalisierung befasst. Staatliche Gesundheitsbehörden hatten in Anhörungen ebenso wenig Bedenken wie Vertreter der großen christlichen Kirchen.

Die CSU hatte sich stets auf die "gewachsene Bestattungskultur" berufen und gegen eine Reform gesträubt; aufgeschlossener zeigte sich dann der Koalitionspartner Freie Wähler. So kam eine zuvor regelmäßig von der Opposition geforderte Novelle 2019 zur Beschlussreife. Alle Fraktionen mit Ausnahme der AfD sahen in der Entscheidung "ein Signal der Wertschätzung" der Religionsgemeinschaften.

Allerdings müsse die konkrete Entscheidung, ob die Sargpflicht modifiziert wird, den Friedhofsträgern überlassen sein. Zunächst müssten die Kommunen, die in der Regel Träger sind, ihre Verordnungen ergänzen - auf Basis einer zuvor geänderten Bestattungsverordnung gemäß Landtagsbeschluss. Im ersten Quartal 2020, vielleicht schon zum Jahresende 2019, werde diese vorliegen, wurde Arif Taşdelen damals auf Anfragen beim zuständigen Gesundheitsministerium mitgeteilt. Er wollte auch, dass es in der Sache zügig weitergeht, um Friedhofsverwaltungen frühzeitig zu informieren und sensibilisieren.

Bereits vor Corona hätte die Verordnung also vorankommen können; wohl geriet das dann tatsächlich wegen der Pandemie ins Stocken. Wie das Ministerium kürzlich dem Landtag mitteilte, werde der Entwurf zur Bestattungsverordnung noch "intern finalisiert", die Normprüfstelle der Staatskanzlei müsse sich abschließend äußern. Danach folge eine Ressort- und Verbandsanhörung. "Es dauert ewig. Dabei hatten wir schon so viele Anhörungen dazu", sagt Taşdelen. Ihm dränge sich der Eindruck auf, dass das Thema dem Ministerium "lästig" sei, es sei ja der CSU "nie geheuer" gewesen. Dabei gäben andere Bundesländer ein ideales Vorbild für die Praxis.

Unter muslimischen Bürgern in Bayern keimen derweil Sorgen auf, der SPD-Politiker bekommt Nachfragen, Briefe und Anrufe. Oft konkret: Die Bestattung eines Familienmitglieds steht an, wie ist jetzt die Sachlage? Verstorbene würden dann oft "in die Türkei verfrachtet" - was viele zu Lebzeiten gar nicht gewollt hätten. Die Bürger vertrauten darauf, dass das, was der Landtag beschließt, auch Gültigkeit hat. Wenn "das Theater" weitergehe, befürchteten sicher einige, dass das Projekt noch "klammheimlich abgeräumt" wird.

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SZ vom 09.09.2020
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