Süddeutsche Zeitung

Corona-Testdebakel in Bayern:Ministerin unter Aufsicht

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Bei einer Sondersitzung im bayerischen Landtag tritt Melanie Huml auffällig selbstbewusst auf. Ihre Parteifreunde verteidigen sie, beobachten sie aber auch. Die Opposition dagegen vermisst den Ministerpräsidenten.

Von Andreas Glas, München

Der Stuhl, auf dem Melanie Huml (CSU) gleich sitzen wird, ist mit weichem Leder bezogen, dunkelrot, sehr komfortabel. Davon können sich an diesem Mittwoch auch die Journalisten überzeugen, die ausnahmsweise unten im Plenarsaal sitzen dürfen statt oben auf der Pressetribüne. Ihr Stuhl ist zunächst aber auch das einzige, was Huml an Bequemlichkeit erwartet. Als sie gegen 13 Uhr ihren Platz einnimmt, blickt sie auf eine Wand aus Kameras und auf Sitzreihen, in denen Abgeordnete sitzen, die unbequeme Fragen an die Gesundheitsministerin haben. Um 13.17 Uhr drückt Huml den Knopf an ihrem Mikrofon, ein rotes Lämpchen springt an. Es kann losgehen.

Was im Landtag stattfindet, ist ein außergewöhnliches Ereignis. Der Gesundheitsausschuss tagt in einer Sondersitzung, mitten in der politischen Sommerpause, auf Drängen von Grünen, SPD und FDP. Es geht um Zehntausende Tests für Reiserückkehrer, deren Ergebnisse spät oder gar nicht übermittelt werden konnten. Um mehr als 900 Infizierte, die viele Tage lang über ihre positiven Tests im Unklaren blieben. Und um eine Ministerin, die von diesen chaotischen Zuständen früher wusste, als sie zunächst darstellte. Das war am Dienstag nach Recherchen der Süddeutschen Zeitung bekannt geworden.

Ja, das gibt Huml zu, sie habe bereits am Montag, 10. August, eine E-Mail erhalten, in der sie von den Problemen erfuhr. In der Mail war bereits zu diesem Zeitpunkt von mehr als 40 000 nicht übermittelten Testergebnissen die Rede, darunter 338 Infizierte. Ja, auch das sagt Huml, sie habe die Öffentlichkeit erst am Mittwoch, 12. August, informiert. Da sprach sie dann von 44 000 Tests und 900 Infizierten. Bleibt also noch die wesentliche Frage: Warum hat Huml die Öffentlichkeit nicht direkt am Montag, sondern erst am Mittwoch, zwei Tage später, informiert?

Man habe eben "gehofft, dass wir am Dienstagabend erfahren: Das Problem ist gelöst", sagt Huml. Diese Hoffnung hatte in der Mail auch das Laborunternehmen Eurofins geäußert, das für die Tests an Autobahnen und Bahnhöfen zuständig ist. Eine Hoffnung, mehr nicht, keine Zusage. Trotzdem bleibt Huml dabei, dass für sie erst am Mittwoch, als die Zahl der unerledigten Tests und der Infizierten weiter gestiegen war, "die Gefahr erkennbar war in dem Ausmaß". Außerdem sei die E-Mail, die sie zwei Tage zuvor bekommen habe, ein normaler "Statusbericht" gewesen, "da steht nicht Achtung, Vorsicht, wichtig drauf", sagt Huml.

Die Grünen-Abgeordnete Christina Haubrich fragt: "Wer hatte denn wann was gewusst"? Natürlich zielt diese Frage auf Ministerpräsident Markus Söder (CSU). Wusste auch er schon früher von dem Testchaos, hat auch Söder Informationen zurückgehalten? Das wolle sie "entschieden zurückweisen", sagt Ministerin Huml. Und dass sie Söder erst am Mittwoch der vergangenen Woche informiert habe. Sie sei bereit, "die Verantwortung zu übernehmen". Aber man habe jetzt "die Fehler erkannt, wir haben sie kommuniziert und wir haben sie abgestellt".

Es ist ein bemerkenswert selbstbewusster Auftritt für eine Frau, über die noch am Tag zuvor spekuliert wurde, dass sie womöglich gar nicht im Plenarsaal des Landtags auftaucht. Sondern bereits zurückgetreten sein könnte, wenn diese Sondersitzung beginnt. Nun ist sie zwar da, aber mit ihr auch der Eindruck, dass sie unter genauer Beobachtung steht - und zwar nicht nur durch die Opposition, sondern auch durch ihre eigene Partei, Als Huml befragt wird, sitzt links neben ihr Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU), im Plenum sitzt Markus Blume, der CSU-Generalsekretär, der eigentlich gar nicht Mitglied im Gesundheitsausschuss ist. Ministerpräsident Söder ist dagegen nicht in den Landtag gekommen. Huml dürfte aber wissen, dass auch Söder ihren Auftritt ganz genau beobachtet. Erst vor einer Woche hatte die Ministerin ihm ihren Rücktritt angeboten, er lehnte ab. Wird ihn Humls Auftritt in der Sondersitzung in dem Maße überzeugen, dass er auch jetzt an Huml festhält, da feststeht, dass sie sogar Söder, ihren Chef, erst mit zwei Tagen Verspätung darüber informierte, was sich da für ein Testchaos zusammenbraute?

Die CSU-Abgeordneten jedenfalls verteidigen Huml in der Sondersitzung am Mittwoch vehement. Noch vehementer aber verteidigen sie die Teststrategie der Staatsregierung. Wegen der Gefahr durch die Pandemie habe es "keine Alternative" gegeben, man habe die Tests für Reiserückkehrer so schnell wie möglich auf die Beine stellen müssen, sagt Staatskanzleichef Herrmann. Angesichts der steigenden Infektionszahlen habe man nicht erst warten können, "bis alles perfekt" laufe. Generalsekretär Blume sagt: "Was ist denn der größere Fehler? Nicht schnell genug manche Dinge zu tun oder gar nichts tun?" Und natürlich liefert er seine Antwort gleich hinterher: "Das Virus gibt uns keine Zeit für Trockenübungen." Insgesamt tritt die CSU äußerst geschlossen auf. Die Abgeordneten ihres Koalitionspartner, der Freien Wähler, verzichten komplett darauf, kritische Fragen an Huml zu stellen. Sie springen ihr allerdings auch nicht zur Seite.

Die Opposition äußert sich nach der Sitzung enttäuscht bis entsetzt über Humls Auftritt. Vor allem über Humls Aussage, sie habe "gehofft", dass sich das Chaos, von dem sie am Montag erfuhr, bis Mittwoch lösen werde. "Wenn bei so einer Faktenlage Hoffnung die Substanz des Handelns ist, dann bin ich zutiefst besorgt", sagt Horst Arnold (SPD). Andreas Krahl (Grüne) wiederum kritisiert, dass Söder nicht selbst in die Sitzung kam, um Rede und Antwort zu stehen. Auch im Anschluss an die Sitzung war zunächst nichts von Söder zu hören. Kein Tweet, nichts. Der Ministerpräsident, sagt Krahl, gebe sich als "großer Krisenmanager. Aber wenn es brennt, übernimmt er keine Verantwortung".

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SZ vom 20.08.2020
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