Süddeutsche Zeitung

Messerattacke im ICE:Wahn oder Terror? Was die Behörden tun müssen

Lesezeit: 1 min

Die Polizei darf nicht anfangen, Karteien anzulegen, nur weil einer schon mal psychisch auffällig geworden ist. Aber es braucht mehr Ressourcen, um wahnhaft bedingte Amoktaten zu verhindern.

Kommentar von Ronen Steinke

Kann es sein, dass der riesige Anti-Terror-Apparat, den Deutschland in den vergangenen Jahren so sehr ausgebaut und verfeinert hat, sich auf den Idealtypus des islamistischen Überzeugungstäters fokussiert hat, während die inzwischen viel häufigere Gefahr aber von psychischen Problemfällen ausgeht? Von Menschen, die nicht langwierige terroristische Pläne schmieden, sondern plötzliche Wahnschübe erleiden?

So ist es im Juni in Würzburg gewesen. Die Diagnose für den Somalier, der dort drei Menschen erstach, lautete zuletzt "paranoide Schizophrenie". So scheint es nach vorsichtiger erster Bewertung der Behörden auch am Samstag wieder gewesen zu sein. Ein 27-jähriger Syrer ist in einem ICE bei Regensburg ausgerastet. Er hat offenbar um Hilfe gerufen, im Wahn dann ein Messer gezückt und vier Menschen gefährlich verletzt, bevor ihn couragierte Passagiere stoppten.

Die Sicherheitspolitik hat dieses Thema vernachlässigt. Dabei sind inzwischen Muster erkennbar. Warnende Vorzeichen gibt es oft. Aber man muss sie sehen. Und man muss sie richtig verknüpfen. Das ist heikel. Natürlich: Vor jeder Form von Stigmatisierung Kranker muss man sich hüten. Auf keinen Fall darf die Polizei anfangen, Karteien anzulegen, nur weil jemand schon mal psychisch auffällig geworden ist. Das wäre fatal, auch weil es Hilfsbedürftige davon abschrecken würde, sich in Behandlung zu begeben.

Aber aufhorchen sollte die Polizei schon. Wenn jemand unter Wahnvorstellungen leidet, kann es gefährlich werden. Der Innenminister von Nordrhein-Westfalen, Herbert Reul (CDU), geht da gerade schon löblich neue Wege, mit einem Programm zur Prävention psychisch bedingter Amoktaten. Das ist eine Sache, zu der sich "traditionelle" Sicherheitspolitik noch zu ungern herablässt. Wenn nur ein kleiner Teil der riesigen Ressourcen, die bislang auf das Aufspüren und Bekämpfen von Terrorgruppen verwendet werden, in die Prävention psychischer Eskalationen gesteckt würde, es wäre allen gedient.

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