Süddeutsche Zeitung

Mitten in Neumarkt:Eine Grenze zum Vergessen

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Manche Orte sind so sehr zusammengewachsen, dass die Menschen vergessen haben, dass da früher einmal eine Grenze war - so auch in Woffenbach, einem Stadtteil von Neumarkt in der Oberpfalz. Doch jetzt steht da plötzlich wieder ein Schlagbaum - allerdings einer, der immer offen steht.

Glosse von Maximilian Gerl

In manchen Orten haben die Menschen glatt vergessen, dass eine Grenze zwischen ihnen fließt. Als Paradebeispiel dürfen Neu-Ulm und Ulm gelten. Beide Städte trennt zwar die Donau. Dennoch sind sie längst so zusammengewachsen, dass sie mehr als eine Brücke eint. Verbunden fühlen sie sich auch im oberbayerischen Laufen und im österreichischen Oberndorf, über die Salzach hinweg. Oder, im ganz Kleinen, im Dörfchen Kreuzthal-Eisenbach, das sich links und rechts der Eschach zwischen Bayern und Baden-Württemberg in die Allgäuer Berge schmiegt. "Im Alltag", sagte dort eine Einheimische neulich zum Reporter, "spielt die Grenze keine Rolle."

Und in Woffenbach? Auch in diesem Stadtteil von Neumarkt in der Oberpfalz hatten viele Einheimische womöglich gar nicht mehr auf dem Schirm, dass sie eigentlich in einem Grenzort leben. Tun sie aber. Daran erinnert sie seit Neustem ein frisch gestrichener Schlagbaum. Rot und weiß alarmiert die Holzschranke an einem Fußweg, der über die Schwarzach führt, vor dem Grenzübertritt zwischen den Ortsteilen Ermerdorf und Bühl. Wer von Ermerdorf kommt, sieht außerdem ein Warnschild mit "Bühl" drauf. Sicher ist sicher.

Verantwortlich für die Wiedererrichtung der Grenze ist laut Mittelbayerischer Zeitung die örtliche Dorfjugend. Sie hat auch gleich für ein Pressefoto eine Ein- und Ausreise simuliert, Passkontrolle inklusive. Eine Spaßaktion natürlich. Aber eine mit dem Sinn, frischen Wind ins Dorfleben zu bringen und an eine Tradition anzuknüpfen. Man wolle an die gegenseitigen Hakeleien und gemeinsamen Feste erinnern, die Ermendorfer und Bühler einst zu begehen wussten, werden Vertreter der Jugend zitiert. Und: "Wir sehen die Schranke allgemein als Symbol, dass Grenzen überwunden werden sollen, weil sie immer offen ist."

So gesehen wird vor allem gerne vergessen, dass ein gehobener Schlagbaum seinen Zweck manchmal besser erfüllt als ein gesenkter. Zwar lässt sich im Zweifel immer schöner über die Nachbarn am anderen Ufer herziehen. Doch letztlich hängt man trotzdem irgendwie zusammen, kommen die einen nicht ohne die anderen aus und wollen es auch oft gar nicht. Und auf ein Bier hinüberzuspazieren, ist eh eine feine Sache, nicht nur in Woffenbach.

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