Süddeutsche Zeitung

Coronavirus in Bayern:Die erste Stadt reißt schon wieder die 100er-Marke

Lesezeit: 3 min

Dabei sollte es statt Verschärfungen eigentlich Erleichterungen geben, etwa mehr Besucher bei Sportereignissen. Hilft das neue System bei der Pandemie-Bekämpfung?

Von Maximilian Gerl, München

Mit Start des neuen Schuljahres im September soll es für Schülerinnen und Schüler zusätzliche Corona-Impfangebote geben. Das teilten Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) und Kultusminister Michael Piazolo (FW) am Donnerstag mit. Demnach bereiteten sich die Impfzentren darauf vor, Jugendlichen ab zwölf Jahren auch an den Schulen ein Impfangebot zu machen, "ob in der Turnhalle, der Mensa oder im Impfbus auf dem Schulparkplatz". Die Corona-Impfung werde aber freiwillig bleiben.

Mit ihren Plänen für ein "niedrigschwelliges Impfangebot" an den Schulen reagiert die Staatsregierung einerseits auf steigende Corona-Zahlen im Freistaat - andererseits auf Kritik an ihrem Krisenmanagement. So spottete die Opposition jüngst über "unkoordiniertes Herumwurschteln", weil Impfprogramme für jüngere Altersgruppen fehlten. Und auch unter Wirtinnen und Hoteliers, Händlern und Veranstaltungsmanagerinnen ist die Sorge groß, angesichts der Infektionslage bald wieder zusperren zu müssen.

Am Donnerstag wies das Robert-Koch-Institut (RKI) für zwölf Städte und Kreise in Bayern eine Sieben-Tage-Inzidenz oberhalb des Schwellenwerts 50 aus. In der Stadt Rosenheim stieg sie sogar erstmals wieder über die Marke von 100. Die bayernweite Inzidenz lag bei 34,1, der Bundesdurchschnitt bei 44,2. Den Reproduktionswert schätzte das Landesamt für Gesundheit zuletzt auf 1,27; das heißt, dass eine infizierte Person rechnerisch mehr als einen weiteren Menschen ansteckt. Je höher die Zahl, desto schneller gewinnt die Pandemie an Fahrt.

Stadien könnten bald wieder zu 50 Prozent ausgelastet sein - unabhängig vom Impfstatus und jenseits einer 35er-Inzidenz

Dabei standen zuletzt doch eigentlich eher Erleichterungen als Verschärfungen im Raum. Bund und Länder wollen die bislang für Öffnungen und Schließungen maßgebliche Sieben-Tage-Inzidenz - die Zahl der Neuinfektionen der letzten sieben Tage je 100 000 Einwohner - durch ein neues System ersetzen. Was das konkret für Bayern bedeutet, ist noch unklar.

Öffentlich wurde am Donnerstag immerhin, was künftig für große Sportveranstaltungen gelten könnte. Ein Entwurf sieht für Stadien eine Publikumskapazität von 50 Prozent vor - unabhängig vom Impfstatus und auch jenseits einer Inzidenz von 35, sofern es feste Sitzplätze gibt und die bekannten Mindestabstände gewahrt bleiben. Das Maximum soll bei 25 000 Zuschauern liegen. Fix ist das aber nicht. Ein Sprecher des Gesundheitsministeriums deutete an, dass die finale Version durchaus anders aussehen könne. Dem Vernehmen nach soll die neue Infektionsschutzmaßnahmenverordnung an diesem Freitag veröffentlicht werden.

Darauf setzt auch die Stadt Rosenheim. Dort liegt die Inzidenz laut RKI aktuell bei 116,4 - so viel wie nirgends sonst in Bayern und der fünfthöchste Wert bundesweit. Bereits am Mittwoch hat die Stadt ihre Schutzmaßnahmen gegen Corona verschärft, wie es die noch gültige 13. Fassung der Verordnung vorsieht. Kulturelle Großveranstaltungen, die von außerhalb Bayerns Publikum anziehen könnten, sind seitdem untersagt. Für Schüler der "Sommerschulen" gilt auch am Platz Maskenpflicht. Theoretisch müsste die Stadt ihre Corona-Maßnahmen am Wochenende noch einmal verschärfen, sollte die Inzidenz bis dahin über 100 bleiben. Nun hofft man im Rathaus darauf, dass das Gesundheitsministerium die neue Verordnung rechtzeitig fertig bekommt.

Angesichts von so viel Unwägbarkeit wirkt Stadtsprecher Thomas Bugl am Telefon dennoch entspannt. Dabei hatte die Inzidenz in Rosenheim von einer Woche noch bei 20,46 gelegen. Das Infektionsgeschehen entwickle sich "sehr dynamisch", räumt Bugl ein. Aber: Überraschend komme der Anstieg nicht. Überraschend sei "die Parallelität". Die Corona-Zahlen entwickelten sich mitunter "deckungsgleich" zum Sommer 2020. Auch damals hätten sie plötzlich angezogen, auch diesmal gehe etwa die Hälfte des Anstiegs auf Reiserückkehrer aus Südosteuropa zurück. Am Ende stand die Stadt vergangenes Jahr bei einer Inzidenz von mehr als 300.

Alles wie gewohnt also in Rosenheim? Nicht ganz. In einem Punkt weichen die Entwicklungen damals und heute laut Stadt voneinander ab: Die Zahl der schwer Erkrankten sei vergleichsweise niedrig. Demnach wurden Stand Donnerstagmorgen im örtlichen Klinikum neun Patienten wegen Corona behandelt, vier davon intensivmedizinisch; sie sind angeblich nicht geimpft. Generell stellen derzeit Nicht-Geimpfte und Menschen ohne vollständigen Impfschutz mit 97,5 Prozent das Gros der Infizierten in Rosenheim. Ähnliche Zahlen hatten zuletzt auch andere Regionen gemeldet, so am Dienstag der Landkreis Traunstein. Von 109 nachgewiesenen Coronainfektionen hatten 105 keinen oder keinen vollständigen Impfschutz.

Nur vier Fälle wertete das Gesundheitsamt als sogenannte Impfdurchbrüche. Neue Regeln gelten bereits seit dieser Woche für Senioren- und Pflegeheime. Besucher und Beschäftigte, die nicht geimpft sind, müssen wieder einen negativen Corona-Test vorweisen, unabhängig von der Inzidenz.

Ruth Waldmann, gesundheitspolitische Sprecherin der Landtags-SPD, forderte am Donnerstag mehr Unterstützung für die Einrichtungen. Diese seien durch die Ankündigung der Staatsregierung, Auffrischungsimpfungen in Heimen zu forcieren, überrumpelt worden: Weder habe es Vorbereitungen noch geeignete Aufklärungsbögen gegeben. "Auffrischungsimpfungen sind sinnvoll", sagte Waldmann. Aber man müsse vorher "klare Verfahrenswege vereinbaren und dann öffentliche Ankündigungen machen und nicht schon wieder umgekehrt". Dem widersprach das Gesundheitsministerium: Man habe die Pflegeheime im August 2020 und damit "frühzeitig über den Start der Auffrischungsimpfungen informiert".

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SZ vom 20.08.2021
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