Süddeutsche Zeitung

Bayerischer Landtag:Heftige Debatten über "Ankerzentren"

Lesezeit: 3 min

Von Dietrich Mittler, München

Seit August 2018 gibt es in Bayern "Ankerzentren", um Asylverfahren deutlich zu beschleunigen. Und seitdem stehen sie in der Kritik - so auch am Donnerstag bei einer Expertenanhörung im Landtag. Die Rede war von "rechtsfreien Räumen, in denen Schutzsuchende keinen Schutz finden", von einer alles andere als unabhängigen Rechtsberatung für die Flüchtlinge, von "struktureller Gefährdung des Kindeswohls", von "unfairen Asylverfahren" und "hausgemachter Gewalt", die sich insbesondere gegen Frauen richte. Hinzu kämen Übergriffe von Security-Mitarbeitern, auch könne in den Ankerzentren von Nachtruhe keine Rede sein. "Diese Zentren machen psychisch gesunde Menschen krank und kranke Menschen noch kränker", hieß es.

Juristen unter den befragten Experten machten überdies deutlich, dass sich die Rechtspraxis in Bayern deutlich von den Vorstellungen des Bundes unterscheide, was die Dauer der Unterbringung von Familien mit minderjährigen Kindern in einem "Ankerzentrum" betrifft. Maximal solle diese eigentlich nur sechs Monate betragen. In der Praxis müssten viele Familien aber 24 Monate in den "Ankereinrichtungen" zubringen, und in dieser Zeit bleibe schulpflichtige Kindern der Besuch einer Regelschule verwehrt. "Das eigentliche Problem ist die lange Aufenthaltsdauer", sagt Anna Lobkowicz, die in Bayern das Migrationsbüro der Malteser Werke leitet - und bei dieser Äußerung weiß sie alle Wohlfahrtsverbände in Bayern hinter sich.

Hans-Eckhard Sommer, Präsident des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf), stemmte sich der Kritik entgegen, im Grunde nur unterstützt von Kay Hailbronner vom Forschungszentrum Ausländer- und Asylrecht der Universität Konstanz. ",Ankereinrichtungen' sind ein Gebot der Vernunft", sagte Sommer. Das Konzept, alle Schritte eines Asylverfahrens unter einem Dach erfolgen zu lassen, sei richtig. Das führe "zu Beschleunigungseffekten" im Asylverfahren. Für die "Ankerzentren" spreche überdies "die frühzeitige Identitätsfeststellung", bei der etwa mit neuen Technologien anhand des Dialekts festgestellt werden könne, aus welchem Land ein Asylbewerber tatsächlich stamme. In Zweifelsfällen würden die Metadaten von den Smartphones der Flüchtlinge überprüft. "Ein wichtiger Beitrag für die Sicherheit in unserem Land", so Sommer.

Auch die Aufregung darüber, dass in Ankerzentren die Beratung zum Asylverfahren in den Händen von Bamf-Mitarbeitern liegt, kann Sommer nicht verstehen: Dabei handele es sich um eine "unabhängige, staatliche Asylberatung, sagte er. Hailbronner indes warnte davor, das "Staatsinteresse zu unterminieren". Heißt etwa: Es besteht "ein berechtigtes Interesse daran, den Aufenthalt von Flüchtlingen zu beenden, die kein Aufenthaltsrecht haben".

Nur drei Stunden Zeit war den Experten eingeräumt worden, zu einem achtseitigen Fragenkatalog Rede und Antwort zu stehen - eine kaum zu lösende Aufgabe, wie Petra Guttenberger (CSU), die Vorsitzende des Ausschusses für Verfassung, Recht, Parlamentsfragen und Integration, gleich zu Beginn der Veranstaltung vorsichtig andeutete. Erschwerend kam hinzu, dass zu einigen Fragen - und dazu zählt auch die tatsächliche Aufenthaltsdauer in den "Ankerzentren" - weder schriftlich Zahlen vorlagen, noch im Laufe der Sitzung vorgetragen wurden.

Die gab es nur zur Dauer der Asylverfahren in den "Ankerzentren". Die betrage, so Bamf-Chef Sommer, in der Regel 67,5 Tage, bei Flüchtlingen in anderen Asylunterkünften indes 74,5 Tage. Für die SPD-Abgeordnete Alexandra Hiersemann klang das wenig überzeugend: "Die Zeit, die da gewonnen wird, ist minimal. Steht das im Verhältnis zum Aufwand?"

Für die Grünen im Landtag ist klar, dass die "Ankerzentren" schnellstmöglich abgeschafft gehören. Die Frage, ob eine staatliche Behörde "in eigener Sache unabhängig beraten könne" sowie auch die Feststellung des Münchner Anwalts Hubert Heinhold, dass Flüchtlinge in "Ankerzentren" meist ohne den Rat eines Anwalts, also "unberaten in Anhörung gehen", machten Toni Schuberl, den rechtspolitischen Sprecher der Grünen, regelrecht fassungslos: Dann könne man in allen anderen Gerichtsverfahren ja auch auf Anwälte verzichten. "Mir stellt es alle Haare auf", sagte er.

Für die CSU sind "Ankereinrichtungen" unverzichtbar. Womöglich seien Asylbewerber für lange Verweildauern selbst verantwortlich, klang bei der Frage eines CSU-Abgeordneten durch. Eine Auffassung, die vom Koalitionspartner, den Freien Wählern, nicht geteilt wird. "Wir fordern insbesondere bei Familien mit minderjährigen Kindern, die gesetzliche Vorgabe einer Aufenthaltsdauern von höchsten sechs Monaten auch in Bayern konsequent einzuhalten", sagte Alexander Hold, der Sprecher für Asyl und Integration der Freien Wähler im Landtag.

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SZ vom 27.09.2019
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