Süddeutsche Zeitung

AfD im Bayerischen Landtag:Die zwei Gesichter der "Vernünftigen"

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Die Abtrünnigen der AfD-Fraktion wollen als neues Gesicht wahrgenommen werden. Dennoch sind darunter viele, die auch schon eine andere Fratze gezeigt haben.

Kommentar von Johann Osel

Die Chronik der AfD-Fraktion ist um ein blamables Schauspiel in aller Öffentlichkeit reicher. Dass eine Mehrheit die Klausur verlässt, der verbliebene Vorstand so tut, als sei nichts geschehen, und dass dieses Spektakel der Spaltung in getrennten Pressekonferenzen aufgeführt wird - das zeigt, dass diese Truppe nicht wirklich arbeitsfähig ist. Die Großrevolte, wie sie die Gegner der Führung wollten, ist gescheitert. Nun aber will das Zwölferbündnis mit seiner Mehrheit den Laden quasi intern übernehmen: mit Kollegialität und Transparenz. Ziel ist anscheinend auch, das Gesicht der AfD neu zu prägen - auf dass man von den anderen Fraktionen als politische Kraft ernstgenommen werde. Sich selbst nennen sie: die "Vernünftigen".

Nun sind unter den Abtrünnigen Leute, denen man es abnimmt, ein bürgerliches, rechtes Ausgleichsgewicht zur CSU sein zu wollen. Es sind zudem jene darunter, die 2019 bei der Rede von Charlotte Knobloch, der Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde, im Plenum sitzen geblieben sind. Doch es sind auch viele dabei, die unter krawalliger Anführerschaft ihrer Fraktionschefin den Saal verließen.

Da ist einer, der sich auf der Corona-Demo in Berlin vor Reichsflaggen und einem Plakat der Kanzlerin in Sträflingsmontur ablichten ließ und generell keiner hetzerischen Verschwörungstheorie abhold ist. Oder der AfD-Mann, der sich bei der Trauerminute für den mutmaßlich von Neonazis ermordeten Walter Lübcke nicht erhob und der zu Flüchtlingen im Mittelmeer sagte: "Kennen Sie eigentlich das richtige deutsche Sprichwort: Wer sich in Gefahr begibt, der kommt darin um?" Andere befürchten Krankheiten, "wenn mich ein Neger anküsst oder anhustet", wittern in der Homo-Ehe eine "Agenda hin zum geschlechtslosen Menschen", nennen Angela Merkel "Honeckers Mädchen" oder behaupten, Afrikaner "verticken wirklich überall Drogen".

Trotz transparenter Fraktion oder Milde im Stil - das neue Gesicht hat sich bereits oft als Fratze gezeigt. Andere Fraktionen werden dies zu bewerten wissen.

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Quelle:
SZ vom 18.09.2020
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