Süddeutsche Zeitung

Kolbermoor:Kampf ums Krematorium

Lesezeit: 3 Min.

Von Matthias Köpf, Kolbermoor

Wären am Gräberfeld K wirklich Gräber, dann wäre dieses ganze nun so heftig umkämpfte Projekt sowieso von Anfang an erledigt gewesen. Die Stadt Kolbermoor hat ihren Neuen Friedhof in den Achtzigerjahren angelegt, weil sich ihr alter, zwischen Mangfall und Mangfallkanal eingekeilter Friedhof einfach nicht mehr vergrößern ließ. Kolbermoor ist seither ebenso wie das benachbarte Rosenheim weiter gewachsen, aber der Neue Friedhof wird wohl trotzdem nicht mehr voll werden.

Denn inzwischen lassen sich selbst hier im scheinbar noch so katholischen Oberbayern immer weniger Menschen in Erdgräbern bestatten, die Quote der Einäscherungen liegt auch in Kolbermoor ungefähr bei zwei Dritteln. Irgendwo müssen all diese Einäscherungen ja auch geschehen, dachten sich die Stadträte im Mai und beschlossen mit großer Mehrheit, dass am Neuen Friedhof auf dem leeren Gräberfeld K ein Krematorium gebaut werden soll. Seitdem sind in Kolbermoor Ruhe, Frieden und auch einiges an Würde dahin. Am Sonntag sollen nun die Bürger über das Krematorium entscheiden.

Auf die Idee mit dem Krematorium waren sie im Kolbermoorer Rathaus auch gar nicht selbst gekommen. Aber als der Brief mit der Anfrage eines Traunsteiner Unternehmers kam, der einen Standort für eine zweite Anlage suchte, da hat die Stadt Kolbermoor eben nicht gleich Nein gesagt, so wie es viele andere Kommunen in der weiteren Umgebung getan haben. Am Neuen Friedhof wäre ja Platz, und außerdem liegt er recht verkehrsgünstig keine fünf Kilometer von der Autobahn entfernt. Denn der expansionswillige Unternehmer will auch sein zweites Krematorium genau wie sein erstes in Traunstein unbedingt an einem Friedhof bauen. Er will den Hinterbliebenen respektive den Bestattungsunternehmen als seinen eigentlichen Kunden auch Abschiedszeremonien direkt vor der Einäscherung anbieten können, was in einer Art nüchterner Leichenverbrennungsanlage irgendwo in einem Gewerbegebiet weder besonders pietätvoll noch überhaupt erlaubt wäre.

Bürgermeister Peter Kloo (SPD) sieht so ein Krematorium als Beitrag zur zeitgemäßen Bestattungskultur sowie als wichtige Einrichtung der Daseinsvorsorge an. Kloo fände es erklärtermaßen gut, wenn Kolbermoor auf diese Weise eine Aufgabe für die anderen Kommunen in der Region mitübernehmen könnte. Denn die Anlage im 60 Kilometer entfernten Traunstein, bisher die einzige im südöstlichen Oberbayern, werde bald an ihre Kapazitätsgrenze stoßen. Damit, dass der Widerstand gegen die Krematoriumspläne in Kolbermoor so wütend werden würde, hatte aber auch der Bürgermeister nicht gerechnet.

Vertreterinnen der beiden christlichen Kirchengemeinden wurden niedergebrüllt

Bald lag ein anonymes Schreiben mit Warnungen in vielen Briefkästen, Anwohner demonstrierten, eine erste Informationsveranstaltung Ende Juni wäre dann beinahe komplett aus dem Ruder gelaufen. Einige der rund 400 Teilnehmer brüllten unter anderem die Vertreterinnen der beiden christlichen Kirchengemeinden nieder, die sich für das Krematorium aussprachen. Später gab es zwei weitere Veranstaltungen, die deutlich weniger hitzig verliefen - vor allem, weil sich die schnell gegründete Bürgerinitiative nicht noch einmal an einer Veranstaltung der Stadt beteiligen wollte und stattdessen einen eigenen Informationsabend anbot.

Auf der einen Seite war und ist viel von giftigen Abgasen, Quecksilberrückständen in der Luft, von radioaktivem Rauch wegen der Verbrennung von Strahlentherapiepatienten und von zusätzlichem Verkehr die Rede. Die andere Seite spricht von strengen Grenzwerten, genauen behördlichen Überprüfungen, von Werten unterhalb jeder Nachweismöglichkeit und davon, dass auf der Staatsstraße ohnehin viel Verkehr herrsche und wechselnde Sonderangebote beim benachbarten Discounter da sicher sehr viel mehr ins Gewicht fielen als ein paar Leichenwagen und Autos von trauernden Angehörigen.

Die Stadt und der Unternehmer versuchten es mit immer neuen Darstellungen und "Faktenchecks" auf der Homepage sowie Informationsfahrten der Volkshochschule nach Traunstein. Sie gaben sich dabei allerdings die Blöße, dass sie das dortige Krematorium als Referenzanlage des Landesamts für Umwelt bezeichneten - was das LfU anschließend zurückwies, denn man führe keinerlei Referenzanlagen.

Die größere Wucht entfaltet die Kampagne der Kritiker, die nicht nur auf Transparente, Leserbriefe und Social-Media-Aktivitäten setzen, sondern auch auf einen eigenen Videokanal im Internet sowie auf eine bezahlte Anzeige bei Google, um ganz oben auf der Trefferliste zu erscheinen. Die Kritiker stehen in engem Austausch mit einem Berater aus Hamburg, der sich als Bestattungsexperten bezeichnet, nach eigenen Angaben sein Geld als Friedhofsberater für Kommunen verdient und landauf, landab als glühender Verfechter der Erdbestattung auftritt - oft Seite an Seite mit dem deutschen Steinmetz-Gewerbe. Er führt unter anderem an, dass Bayern im Ländervergleich zu viele Krematorien habe und wohl Leichen in den Freistaat gekarrt würden, weil nur hier vor dem Verbrennen keine zweite Leichenschau mit entsprechenden Gebühren vorgeschrieben sei.

Gleichwohl gibt es in Kolbermoor auch Menschen, die sich öffentlich für ein Krematorium ausgesprochen oder einfach nur bekundet haben, dass ihnen das Thema gleichgültig sei und dass es bei Krematorien anderswo offenbar auch nicht zu all den beschworenen Problemen komme. Zuletzt erhielten manche dieser Menschen Mails, die sich durchaus als Drohungen interpretieren lassen. Wie die Mehrheit denkt, wird sich im Bürgerentscheid am Sonntag zeigen. Stimmberechtigt sind rund 15 000 Kolbermoorer, das Quorum liegt bei knapp 3000 Stimmen.

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Quelle:
SZ vom 17.10.2019
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