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Abitur in Bayern:Chillt doch mal

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Was gab es Aufregung über das angeblich zu schwere Mathe-Abi. Jetzt steht fest: Der Schnitt ist nur wenig schlechter als im Vorjahr. Trotzdem hinterlässt die Diskussion ein ungutes Gefühl.

Kommentar von Sebastian Beck

Gerade mal fünf Wochen ist es her, da schwappte über Bayern eine gigantische Empörungswelle wegen des vermeintlich zu schweren Mathe-Abiturs hinweg. "Euer Minister verbaut mir mein Leben", lautete eine SMS an Eva Gottstein, Landtagsabgeordnete der Freien Wähler.

Die Nachricht spiegelt die Hysterie wider, die sich nach der Prüfung breitmachte. Da nützte es auch nichts, dass Fachleute unisono erklärten, die Aufgaben seien keineswegs so unzumutbar gewesen, wie es die Online-Petition mit mehr als 70 000 Unterzeichnern suggerierte. Bevor eine Aufgabe zur Abi-Prüfung zugelassen wird, durchläuft sie selbst diverse Auswahlrunden, schon alleine deshalb ist es mehr als unwahrscheinlich, dass es Unlösbares bis aufs Angabenblatt schafft.

Der Notenschnitt von 3,26 beim diesjährigen Mathe-Abitur hat dieses Procedere einmal mehr bestätigt. Er ist nur ein wenig schlechter als der des Jahres 2018, als die Aufgabenstellung in Mathe vergleichsweise leicht war. Es mag Old-School-mäßig klingen: Aber das Abitur bedeutet, dass Schüler damit die allgemeine Hochschulreife erwerben. Nirgendwo steht, dass sie ein Recht auf einen Einser-Schnitt haben. Das zu akzeptieren, fällt manchen Schülern wie Eltern gleichermaßen schwer. Sie vergessen: Man kann das Abitur vergeigen und es trotzdem im Leben zu was bringen.

Erneut aber hinterlässt die Diskussion ums Abitur ein ungutes Gefühl. Denn die Amplituden der Aufregung werden immer heftiger und folgen immer kürzer aufeinander. Beispiele dafür gibt es zuhauf: Als im Januar einige jugendliche Flüchtlinge marodierend durch Amberg zogen, äußerte sich sogleich Innenminister Horst Seehofer dazu und erwog sogar eine Gesetzesverschärfung. "Nicht mehr rational" sei die deutschlandweite Aufregung, sagte danach Ambergs CSU-Bürgermeister Michael Cerny.

Die Vorfälle in Amberg sind inzwischen längst vergessen, der vermeintliche Skandal ums Mathe-Abi wurde vom Rezo-Hype abgelöst, der sich ebenfalls langsam dem Ende zuneigt. Man könnte nun die Meinung vertreten, dass sich alle mal ein bisschen abregen sollen, sogar der blaugefärbte Politikberater Rezo. Aber das wäre erstens naiv und würde zweitens nur den nächsten Shitstorm provozieren. Der wartet schon am Horizont.

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Quelle:
SZ vom 19.06.2019
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