Süddeutsche Zeitung

Verkehrsüberwachung:Erstes Streckenradar Deutschlands scharf geschaltet

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In Niedersachsen blitzt Deutschlands erstes Streckenradar. Andere Länder setzen längst erfolgreich auf diese Technik, hierzulande protestieren Datenschützer weiter.

Von Marco Völklein

Die Hinweisschilder an der Bundesstraße 6 südlich von Hannover, sagt Alexandra Kruse vom ADAC in Niedersachsen, seien ausreichend an der Zahl und groß genug, "sodass sich Autofahrer darauf einstellen können", dass da etwas Neues auf sie wartet. "Section Control" ist zu lesen. Und auf Deutsch: "Radarstrecke". Auf einer Länge von etwas mehr als zwei Kilometern ist nach einer vierwöchigen Testphase am Montag das bundesweit erste Streckenradar scharf geschaltet worden. Nun drohen Autofahrern, die auf dem Abschnitt der B 6 zwischen Gleidingen und Laatzen zu schnell unterwegs sind, Bußgelder und gegebenenfalls Fahrverbote.

Beim Streckenradar kontrolliert nicht mehr ein "Blitzer" an einem Punkt entlang der Straße die gefahrenen Geschwindigkeiten, vielmehr wird eine ganze Strecke überwacht. Beim Einfahren und Verlassen des kontrollierten Abschnitts erfassen Sensoren und Kameras die Autos, ein Computer ermittelt das Durchschnittstempo. Wer zu schnell unterwegs war, erhält ein Bußgeldverfahren. Eigentlich wollte Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) die Anlage schon 2015 in Betrieb gehen lassen. Datenschutzbedenken und die aufwendige Zulassung der neuen Technik hatten die Inbetriebnahme allerdings verzögert.

Für Pistorius ist die Anlage, die etwa 450 000 Euro gekostet hat, "ein neuer Ansatz für mehr Verkehrssicherheit auf unseren Straßen". Seit Jahren schon fordern Unfallforscher, diese Technik auch in Deutschland einzuführen. In Ländern wie Großbritannien, Belgien oder Italien wird sie schon seit Jahren eingesetzt - und zwar mit Erfolg, wie Christian Kellner vom Deutschen Verkehrssicherheitsrat (DVR) sagt. In Österreich sei die Zahl der Unfälle mit Getöteten oder Schwerverletzten auf den so überwachten Straßenabschnitten halbiert worden. Denn anders als bei Blitzern misst ein Streckenradar das Tempo nicht nur an einem Punkt, sondern über einen längeren Abschnitt. Das übliche Abbremsen und anschließende Beschleunigen vieler Autofahrer, das man von stationären wie mobilen Blitzern kenne, entfalle damit, sagt Kellner.

Dennoch unterscheidet sich die in Niedersachsen eingesetzte Technik von der in den anderen europäischen Ländern. Während dort das Abfotografieren der Autos beim Einfahren und Verlassen des kontrollierten Abschnitts für den Datenschutz meist kein Problem darstellt, muss in Deutschland ein Schritt zwischengeschaltet werden. Das bei der Einfahrt erstellte Foto wird zunächst verschlüsselt, ebenso wie das zweite Foto beim Verlassen des Abschnitts. Nur wenn der Abgleich beider Bilder eine Tempoüberschreitung ergibt, wird ein weiteres, klassisches Blitzer-Foto mit dem Gesicht des Fahrers angefertigt.

Abwarten und Auswerten

Dennoch regt sich Widerstand: Die Piratenpartei kündigte eine Unterlassungsklage beim Verwaltungsgericht an. Die Technik sei nicht nur aus Sicht des Datenschutzes unzulässig, vielmehr sei sie auch "teurer als die bewährten Geschwindigkeitsmessungen und weit fehleranfälliger". Zudem würde einer "zukünftigen Zweckentfremdung der Daten" Vorschub geleistet.

Vorgesehen ist nun, die Anlage bis Juni 2020 ausgiebig zu erproben. Dabei soll geklärt werden, ob die Unfallzahlen auf der B 6 zurückgehen. In den vergangenen Jahren war es dort zu schweren Unfällen gekommen, teils mit tödlichem Ausgang. Nach Angaben des DVR ist bundesweit etwa jeder dritte Verkehrstote auf überhöhte oder nicht angepasste Geschwindigkeit zurückzuführen. Ob die Technik auch anderswo eingesetzt wird, will Niedersachsen erst nach Abschluss des Pilotversuchs im Jahr 2020 entscheiden. Der Lieferant, die Firma Jenoptik aus Thüringen, hat auch mobile Streckenradar-Systeme im Sortiment. Die werden im Ausland beispielsweise eingesetzt, um Autobahnbaustellen zu überwachen.

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Quelle:
SZ vom 15.01.2019
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