Süddeutsche Zeitung

Übernahme durch Mahindra:Pininfarina designt bald Nutzfahrzeuge statt Ferraris

Lesezeit: 3 min

Von Thomas Fromm, München

In einer Zeit, in der Autos noch wie Skulpturen bearbeitet wurden und die Designer moderne Bildhauer waren, entstand der Sportwagen Cisitalia 202. Das war 1946, und der Designer hieß Battista Farina. Weil der Mann klein war und als zehntes von elf Kindern geboren wurde, nannte man ihn "Pinin", den "Kleinen".

Pinin und Farina, das ergab dann den späteren Namen dieser piemontesischen Design-Schmiede: Pininfarina. Der Zweisitzer Cisitalia steht heute im New Yorker Museum of Modern Art, und aus Pininfarinas Carrozzeria wurde eine der Ikonen des italienischen Autodesigns. Alfa, Lancia, Fiat, Maserati, Ford - und immer wieder Ferrari, Pininfarina hat viele Automodelle entworfen. Sie stehen für große Eleganz, Kult und Made in Italy. Das Problem nur, wie bei so vielen italienischen Unternehmen: Irgendwann brachen die Großaufträge weg, einer nach dem anderen. Und zum Kult kamen dann die roten Zahlen dazu.

Zu klein, um alleine zu überleben. Aber zu schön, um einfach so zu sterben.

Das Unternehmen war schon seit Jahren auf der Suche nach einem großen, finanzkräftigen Partner. Jetzt hat sich der indische Mischkonzern Mahindra für 25,2 Millionen Euro bei Pininfarina eingekauft. 76 Prozent der Firmenanteile gehen nach Indien; für weitere acht Millionen Euro will Mahindra auch die restlichen 24 Prozent kaufen. Pininfarina, jene italienische Skulpturen-Werkstatt, ist nun nicht mehr italienisch, und das ist mehr als irgendein normaler, alltäglicher Firmen-Deal. Es ist ein weiterer Teil in der unendlichen Geschichte vom Ausverkauf Italiens.

Nur drei Beispiele von vielen

Einige Beispiele: Der Autodesigner Bertone - Konkurs im Frühjahr 2014. Die Turiner Kollegen aus dem legendären Design-Studio Giugiaro - 2010 von Volkswagen geschluckt. Der große Mailänder Reifenkonzern Pirelli - in diesem Jahr für 7,1 Milliarden Euro an den staatlichen chinesischen Chemiekonzern Chem-China gegangen.

Das sind nur einige große Namen. Viele andere, die von Investoren aus Asien geschluckt wurden, kennt man nicht.

Mahindra ist ein 17-Milliarden-Dollar-Konglomerat mit 200 000 Mitarbeitern in über 100 Ländern, ein Gigant im Vergleich zur Auto-Schmiede aus der Gegend von Turin. Mahindra hatte sich erst 2011 bei dem viertgrößten südkoreanischen Automobilhersteller und Geländewagen-Spezialisten Ssangyong eingekauft. Und: Mahindra stellt unter anderem Pick-ups und leichte Nutzfahrzeuge her, die mit einem Pininfarina-Ferrari ungefähr so viel zu tun haben wie Stahlkappen-Sicherheitsschuhe mit einem Paar Stilettos von Prada. Das Einzige, das Mahindra und Pininfarina also verbindet, ist dies: Die einen brauchen Geld, die anderen haben es. "Das Design von Pininfarina wird die Optik aller unserer Produkte verbessern", sagt der Chef der Mahindra-Gruppe, Anand Mahindra.

"Willkommen an Bord, Pininfarina", steht jetzt auf der Homepage der Inder. Aber was wird aus diesem italienischen Traditionsunternehmen, jetzt, wo es Teil eines Megakonzerns ist, der sich in 20 verschiedenen Industriesektoren tummelt? Es ist wie so oft, wenn Traditionsunternehmen in neue, große und reiche Hände geraten: Die Mitarbeiter sind froh, weil sie erst einmal ihre Jobs behalten können. Gläubiger sind froh, weil Geld in die Kasse kommt. Aber was wird nun aus dem, was so eine Carrozzeria, Karosseriebau- und Designfirma, ausgemacht hat? Dem Stil?

Sergio Pininfarina, der Sohn des "kleinen" Battista, hatte aus dem Unternehmen des Vaters einen weltweiten Spieler gemacht, damals in den 60er- und 70er-Jahren. Er designte und ließ designen, er baute das Geschäft aus, immer mehr Autos wurden nicht nur entwickelt und entworfen, sondern in exklusiven Reihen gleich auch in den eigenen Fabriken produziert. Für Volvo, Ford, sogar für den chinesischen Hersteller Chery.

Schwere Schicksalsschläge

Die Designer kümmerten sich um alles, was neben Autos sonst noch so designt werden musste. Für Skiausrüstungen, Zugwaggons, sogar Espressomaschinen. Pininfarina wollte beim großen Geschäft dabei sein, das bekam ihm nicht gut. Wer große Fabriken in die Landschaft baut, riskiert mehr, als wenn er nur mit einer kleinen Gruppe von Designern arbeitet. Volle Fabriken bringen Geld. Leere Fabriken kosten Geld. Planen lässt sich so etwas noch einigermaßen, wenn man VW heißt oder BMW oder Toyota. Aber nicht, wenn man ein Familienunternehmen ist und Pininfarina heißt.

Die Wirtschaftswelt kann gnadenlos sein. Wenn dann noch Pech dazukommt, kommt alles zusammen. Sergios Sohn und Battistas Enkel, Andrea Pininfarina, wurde 2001 Firmenchef; sieben Jahre später wurde der Vespa-Fahrer in der Nähe des Firmensitzes bei Turin von einem Auto gerammt und tödlich verletzt. Vier Jahre später starb auch der Vater. Seitdem hatte sich die Firma nicht mehr erholt.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2783785
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 16.12.2015
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.