Süddeutsche Zeitung

Elektromobilität:Die Zukunft ist eckig

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Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Nur noch 30 Sekunden. Das Auto, das "Cybertruck" heißt und gleich auf die Bühne rollen soll, sehe aus wie aus dem Film "Blade Runner", sagt Tesla-Chef Elon Musk. Noch 20 Sekunden. "Mein ganz persönliches Lieblingsauto." Zehn Sekunden. "Ein technisches Statement." Die weißen Ziffern auf schwarzem Grund zeigen eine Null, es soll losgehen. Doch dann heißt es: "Please stand by" - also warten. Pünktlich sind sie nur selten bei Tesla.

Doch dann geht es los im Designzentrum des Unternehmens im kalifornischen Hawthorne: 1980er-Jahre Elektropop, der noch immer futuristisch klingt. Rote Beleuchtung, dazu weiße Lasershow. Das Hologramm einer jungen Frau ist zu sehen, sie klagt über Verschmutzung und die Abhängigkeit der Menschen vom Öl. Doch es gebe Hoffnung. Sie holt Elon Musk auf die Bühne: Wohl kaum jemand kann die Leute derart von seinen Ideen und Visionen begeistern wie der Tesla-Chef, und diese Fähigkeit wird er an diesem Abend auch brauchen.

"Wir brauchen nachhaltige Energie - jetzt", ruft er den jubelnden Fans zu, und dann lässt er den Cybertruck vorfahren. Der Pick-up sieht tatsächlich so aus wie ein Gefährt aus "Blade Runner", auch Batman und Mad Max dürften damit ihre Freude haben. Die Maße sind die gleichen wie bei handelsüblichen Transportern, das ist aber schon die einzige Gemeinsamkeit. Das Gefährt soll extrem stabil sein, was Designer Franz von Holzhausen an der Tür mit einem Vorschlaghammer beweist und bei den Fenstern mit einer Eisenkugel beweisen will. Der Versuch allerdings scheitert gleich zwei Mal, das Glas splittert. Das war anders geplant, aber Musk lässt sich nicht allzu lange ablenken. Sogar Schüsse aus einer Neun-Millimeter-Pistole soll der Cybertruck aushalten, behauptet er.

Laut Videoeinspielung gewinnt der Cybertruck das Tauziehen gegen den F-150 Pick-up von Ford und beim Wettrennen gegen einen Porsche. Er soll in 2,9 Sekunden von null auf 100 Kilometer pro Stunde beschleunigen und mehr als 6000 Kilogramm ziehen. Die wichtigste Zahl allerdings ist diese: Nur 39 900 Dollar soll das Basismodell kosten. Das ist ein Kampfpreis für ein so schnelles und kräftiges Elektro-Gefährt, für das es derzeit keine vergleichbare Konkurrenz auf dem Markt gibt. Musk hat geliefert, es war eine futuristische Show für einen wahrhaft futuristischen Pick-up. Nur, und das ist bei Tesla schon immer so: Wer jetzt ein gerade vorgestelltes Fahrzeug ordert, der bekommt es freilich nicht sofort geliefert. Die Produktion des Basismodells (das von null auf 100 km/h dann doch 6,5 Sekunden braucht und 3400 Kilogramm ziehen kann) soll Ende 2021 beginnen, die der Luxusversion mit einer Reichweite von 800 Kilometern Ende 2022. Die Prognosen von Musk sind meist, nun ja, eher optimistisch. Und: Ja, der Cybertruck sieht aus wie kein Gefährt, das derzeit zu haben ist; was aber ist mit den Fahrzeugen, die mögliche Konkurrenten in ein paar Jahren verkaufen werden?

General Motors hat gerade verkündet, im Herbst kommenden Jahres seinen ersten Elektrotruck auf den Markt bringen zu wollen, Ford will zur gleichen Zeit den Hybrid-F150 verkaufen. Und dann gibt es noch das von Ford und Amazon geförderte Start-up Rivian, das im nächsten Jahr den R1T mit ähnlichen Werten wie der Cybertruck (3,2 Sekunden von null auf 100 km/h, 5000 Kilo Zugleistung) produzieren will. Und es gibt Bollinger, das seinen Luxus-Gelände-Transporter B2 für 125 000 Dollar feilbieten will.

Experten vermuten, dass Tesla mit einem erfolgreichen Pick-up viel Geld verdienen könnte

Musk spricht an diesem Abend viel über die Zukunft. Er gibt den Cyberpunk, in schwarzer Lederjacke, umgeben von Mitarbeitern in Steampunk-Outfits, am Ende lässt er in Anspielung an den verstorbenen Apple-Chef Steve Jobs ("One More Thing") zur Demonstration der adaptiven Federung einen kleineren Elektro-Buggy auf die Ladefläche fahren. Er lästert über Konkurrenten, in Anspielung auf das Motto von Ford ("Built tough") sagt er: "Ihr wollt einen Truck, der robust ist und nicht pseudo-robust." Gegenwart ist langweilig, klar, Musk wird seine futuristischen Ideen jedoch nicht an den Konkurrenzfahrzeugen der Gegenwart messen lassen müssen, sondern an denen der Zukunft.

Der Markt für Pick-up-Trucks ist hart umkämpft, aufgrund der Margen aber auch sehr lukrativ. Allein in den USA dürften in diesem Jahr drei Millionen dieser Fahrzeuge verkauft werden. Experten vermuten, dass Tesla mit einem erfolgreichen Transportermodell hohe Einnahmen generieren könnte, um langfristig Gewinne zu erzielen. Darüber hinaus gelten Truck-Besitzer als überaus loyal. Wer sie also einmal von seinen Fahrzeugen überzeugt hat, der dürfte einen Kunden auf Lebenszeit haben. Und wohl kein Autoboss kann die Leute besser von seinen Ideen überzeugen als Elon Musk.

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SZ vom 23.11.2019
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