Mikroplastik:Feinstaub-Alarm auch bei Elektroautos
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Reifenabrieb belastet die Umwelt mit vielen Tausend Tonnen Mikroplastik. Schwere Stromer verschärfen das Problem noch. Doch es gibt da ein paar Verbesserungsvorschläge.
Von Joachim Becker und Haiko Prengel
Mikroplastik ist überall: Im Meer oder auf den abgelegensten Schneefeldern in Sibirien. "Mit bloßem Auge können Sie die Partikel im Mikrometer-Bereich nicht erkennen", sagt Wissenschaftler Daniel Venghaus. Der Berliner Forscher braucht ein Rasterelektronenmikroskop, um einer der größten Umweltsünden im Straßenverkehr auf die Spur zu kommen. Denn Autoreifen verlieren mit der Zeit mächtig an Substanz. Auf der Straße zurück bleiben winzige Partikel aus Gummi und Fahrbahnbelag, die in der Luft, im Boden und in den Gewässern landen.
Nach den Hochrechnungen einer aktuellen OECD-Studie ("Non exhaust Particulate Emissions from Road Transport") wird von 2035 an mehr Feinstaub durch Reifen, Bremsen und Aufwirbelungen verursacht als durch Verbrennungsmotoren. Das Problem verlagert sich also nur - zunehmend auch in Richtung Nahrungskette. Laut einer Studie der Weltnaturschutzunion IUCN ist Reifenabrieb eine der größten Quellen für Mikroplastik in der Umwelt und für ein Viertel des Eintrags in den Weltmeeren verantwortlich. Für Deutschland variieren die Schätzungen. Das Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik (UMSICHT) geht von mehr als 150 000 Tonnen Reifenabrieb pro Jahr aus.
Die Reibbremsen haben bei Elektroautos oft Pause, dafür rubbeln die Reifen über die Straße
Das Problem wird durch Elektroautos nicht geringer, im Gegenteil. Weil die Stromer mehrere Hundert Kilogramm mehr Gewicht auf die Straße bringen, ist auch der Reifenabrieb höher. Die englischen Messexperten von Emissions Analytics haben sich nicht nur die Autoabgase, sondern auch die sogenannten Nicht-Auspuff-Schadstoffe angeschaut: In einem Langstreckentest über mehr als 30 000 Kilometer untersuchten sie die Reifen vom Typ Continental Contisport 6 an einer Mercedes C-Klasse. Über den größten Teil der Strecke lag die durch die Reifen verursachte Feinstaubmenge bei 76 Milligramm pro Kilometer. Das ist 15 Mal mehr als das derzeitige Rußlimit aus dem Auspuff, das in Europa bei fünf mg/km liegt. Bei 570 Kilogramm Zuladung stiegen die Werte sogar auf bis zu 194 mg/km. Entsprechend schwere Elektroautos verursachen allein mit dem Fahrer an Bord eine hohe Feinstaubmenge.
Wo die Belastung am höchsten ist, untersuchen die Wissenschaftler im Fachgebiet Siedlungswasserwirtschaft an der Technischen Universität Berlin: "Wir konnten einige Hotspots bei der Entstehung von Reifenabrieb ermitteln", berichtet Daniel Venghaus. An zwölf Messstellen haben die Forscher herausgefunden, was die Entstehung von Feinstaub fördert: Besonders viel abgelöste Gummipartikel - nämlich drei Mal so viel wie auf geraden Straßen - sammeln sich an Ampelkreuzungen an, wo viel gebremst und beschleunigt wird. Noch stärker fällt der Reifenabrieb offenbar in Kurven aus, dort stießen die Forscher auf das Siebenfache der Partikelmenge.
Mit dem problematischen Reifenabrieb beschäftigen sich nicht nur die Forscher der TU Berlin. So untersuchte das Umweltbundesamt in einer Studie erstmals systematisch den Verbleib von Kunststoffen in der Umwelt. Danach stellt Reifenabrieb die mengenmäßig größte Einzelquelle für Kunststoffeinträge dar, weit vor synthetischen Fasern aus Textilien oder achtlos weggeworfenem Plastikabfall. Insgesamt landen laut UBA verkehrsbedingt etwa 133 000 bis 165 000 Tonnen Kunststoff pro Jahr in der deutschen Umwelt.
Geht's auch nachhaltiger? Continental forscht an Öko-Pneus aus Löwenzahn. Das Wiesenkraut enthält Latexsaft, kann anders als Tropenkautschuk aber in hiesigen Breiten angebaut werden. Dadurch könne die fortschreitende Entwaldung in den Tropen verhindert und lange Transportwege reduziert werden, erklärt eine Sprecherin von Continental. BMW rüstet den X5 Plug-in-Hybrid ab August mit einem Pirelli-Reifen aus, der nachhaltigen, zertifizierten Naturkautschuk enthält.
Beim Partikel-Abrieb und deren mögliche Abbaubarkeit scheint Löwenzahn-Kautschuk allerdings nicht nachhaltiger zu sein: Interne Tests zeigten "äquivalente Eigenschaften" zu herkömmlichen Reifen. "Grundsätzlich ist der Abbau von Reifen- und Straßenabrieb bisher wenig erforscht", ergänzt die Sprecherin von Continental. Wissenschaftliche Studien zeigten, dass die durch den Reifenabrieb freigesetzten Polymere zu einem großen Teil grundsätzlich abbaubar seien. Dies geschehe biologisch etwa durch Bakterien und auch chemisch, etwa durch Oxidation.
Von wegen "grüne" Reifen: Vor 2050 werden die Pneus nicht wirklich nachhaltig
Michelin indes setzt auf 3-D-Druck. Dies ermögliche deutlich filigranere Profilstrukturen, erklärt das Unternehmen. Ein sich selbst erneuerndes Profil soll auch nach einer hohen Kilometerzahl noch für Sicherheit sorgen. Der Hersteller fordert explizit dazu auf, diese Pneus bis zur gesetzlichen Mindestprofiltiefe von 1,6 Millimetern herunterzufahren - auch dann besäßen sie noch die optimale Bremsleistung. Zudem haben Neureifen einen höheren Rollwiderstand und verursachen einen höheren Kraftstoffverbrauch als Pneus mit weniger Profil. Allein für europäische Autofahrer beziffert Michelin die Ersparnis auf bis zu 800 Millionen Euro jährlich.
Fahrzeugreifen bestehen etwa zur Hälfte aus Naturkautschuk oder synthetischem Gummi. Zudem enthalten sie Füllmittel und andere chemische Zusatzstoffe. Reifen aus erneuerbaren, recycelten oder biologisch erzeugten Materialien wird es laut Michelin nicht vor 2050 geben. Bis dahin leidet die Umwelt. Experten der Bundesanstalt für Gewässerkunde (BfG) und der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) fanden heraus, dass ein Großteil des jährlichen Reifenabriebs im Boden und nur etwa zwölf bis 20 Prozent in den Gewässern verschwindet. Weitere fünf bis zehn Prozent gelangten von der Straße in die Luft, wo er zur Feinstaubbelastung beiträgt.
In Flüssen, Seen und Meeren wird Mikroplastik leicht mit Plankton verwechselt. Über die Nahrungskette landen die wasserunlöslichen Partikel nicht nur in Meerestieren, sondern schließlich auch im menschlichen Körper. Allein im Atlantik schwimmen Schätzungen zufolge 200 Millionen Tonnen Mikroplastik.
Doch landet am Ende womöglich gar nicht so viel Reifenabrieb in der Kanalisation? Auch diese Entdeckung machten die Experten für Siedlungswasserwirtschaft an der TU Berlin. "Es scheint so zu sein, dass viel auf der Fahrbahn verbleibt", sagt Daniel Venghaus. So seien in ersten Messungen unter fünf Prozent Reifenabrieb durch Regenwasser abgespült worden. Für Schlussfolgerungen sei es aber noch zu früh, weitere Untersuchungen müssten folgen.
"Wenn wir wissen, dass an Ampelkreuzungen und in Kurven besonders viel Reifenabrieb entsteht, dann sollte man dort auch am ehesten mit Reinigungsmaßnahmen aktiv werden", erklärt Daniel Venghaus. So gibt es spezielle Gully-Filtersysteme, die Schadstoffe aus dem Ablaufwasser herausfischen können. Diese Filter könnten Kommunen im Bereich von viel befahrenen Kreuzungen verstärkt installieren.
Aber auch die Straßenreinigungsbetriebe sollten ihre Fahrzeuge zielgerichteter einsetzen - indem man Hotspots gezielter abkehren lässt, etwa vor erwarteten Regentagen, bevor die Güsse die Gummipartikel in die Kanalisation schwemmen. Schließlich könnte eine effizientere Verkehrsführung, etwa durch bestimmte Ampeltaktungen in Stoßzeiten oder durch grüne Wellen, den Abrieb auf viel befahrenen Straßen reduzieren.
Daniel Venghaus nennt das eine "intelligente Vernetzung" mit dem Ziel, den Reifenabrieb auf den Straßen systematisch und dauerhaft zu minimieren. Wie das konkret funktionieren könnte, solle das Folgeprojekt "Urban Filter" in Zusammenarbeit mit der Audi Stiftung für Umwelt klären. Venghaus empfiehlt, vorausschauend zu fahren und durchdrehende Räder zu vermeiden. Gar nicht so einfach bei Elektroautos mit ihrem hohen Drehmoment.