Süddeutsche Zeitung

Bentley und Rolls-Royce:Getrennte Wege, ähnliches Ergebnis

Lesezeit: 5 min

Von Georg Kacher

Die neue Heimat von Rolls-Royce liegt außerhalb von Goodwood im Süden Englands. Früher war das Unternehmen in Crewe beheimatet, doch der Standort in den Midlands gehört inzwischen Bentley. Hier wie dort zelebrieren Spezialisten die hohe Schule der Leder- und Holzverarbeitung, tragen mit sicherem Strich kontrastfarbige Zierlinien auf, dengeln so manches Stück Blech noch händisch in Form.

Zwischen 1946 und 2002 unterschieden sich die meisten Bentley-Modelle von den baugleichen RR-Varianten nur im Detail, doch seit dem Markensplit gehen beide Anbieter getrennte Wege. Dabei bleibt sich Rolls-Royce bis ins Detail selbst treu. Man ist stolz auf den hohen Anspruch an Verarbeitung und Technik, auf den erstklassigen Ausstattungs- und Federungskomfort, auf das kultivierte und völlig unaufgeregte Fahrerlebnis. Das nimmt allerdings auch Bentley für sich in Anspruch - genauso wie die meisterhafte Handwerklichkeit, die individuelle Gestaltung von Farben und Oberflächen. Trotzdem kommen sich die Kontrahenten kaum ins Gehege, denn dafür ist Bentley in puncto Charakter und Ausstrahlung zu sportlich, zu leistungsfokussiert, zu sehr Fahrer-Auto statt Chauffeur-Limousine.

Rekordzahlen bei beiden

Anders als Rolls-Royce, das seine Exklusivität unter anderem durch die knappe Verfügbarkeit des Produkts definiert, hat Bentley keine Scheu vor fünfstelligen Stückzahlen. Im Gegenteil: 2014 freute sich CEO Wolfgang Dürheimer über "einen neuen Absatzrekord, ein neunprozentiges Wachstum auf 11 020 Einheiten und über eine noch breitere Marktabdeckung".

Sein Gegenpart Torsten Müller-Ötvös konnte mit 4063 Fahrzeugen sogar zwölf Prozent mehr verkaufen als im Vorjahr. Trotzdem spricht sich der Chef ganz klar "gegen Massenluxus, fünfstellige Stückzahlen und Wachstum als Selbstzweck" aus. Mehr als 6000 bis 7000 Autos pro Jahr sollen unter seiner Regie nicht produziert werden. Bei Bentley dagegen soll 2020 die 20 000-Stück-Schallmauer fallen.

Für den größten Nachfrageschub dürfte ab 2016 der Bentayga SUV sorgen, der sich die DNA mit dem neuen Audi Q7 teilt. Zum Anlauf wird der opulent ausgestattete Geländewagen mit dem W12 bestückt. Später ergänzen ein Plug-in-Hybrid und ein V8 Diesel das Angebot. Die teuerste Variante wird mehr als 300 000 Euro kosten.

Zwei Jahre nach Bentley will auch Rolls-Royce der betuchten Kundschaft einen SUV anbieten

Zwei Jahre nach Bentley will auch Rolls-Royce die betuchte Klientel mit einem standesgemäßen Offroader beglücken. Der Deckname des Fahrzeugs, das Mitte des Jahres grünes Licht erhalten soll, lautet Cullinan - so heißt der größte jemals gefundene Diamant. Analog zum Bentayga ist der SUV kein Blender, sondern ein kompetenter Offroader, der sogar steile Sanddünen und tiefe Flussdurchfahrten meistert. Unter der Haube schnurrt entweder ein Drehmoment-optimierter V12 oder ein V8 Hybrid. Einen Diesel will sich die Marke dagegen nicht antun.

Trotz der sehr selbstbewussten Abmessungen wird auf eine dritte Sitzreihe verzichtet. Stattdessen ist als Topversion ein Viersitzer mit Theaterbestuhlung in der zweiten Reihe vorgesehen. Die Achsen, den Allradantrieb und die Räder mit dem extra großen Durchmesser will man ebenso wie den Elektronik-Baukasten vom BMW X7 übernehmen. Aufbau und Interieur sind dagegen komplett eigenständig. Die Karosserie besteht nahezu komplett aus Aluminium.

Symbiose aus Erbgut und Altlast

Die aktuelle Bentley-Palette präsentiert sich als Symbiose aus Erbgut und Altlast. Während man die Gene des Mulsanne mit etwas gutem Willen bis ins vergangene Jahrhundert zurückverfolgen kann, teilen sich Continental GT und Flying Spur einige Baugruppen mit dem auch nicht mehr taufrischen VW Phaeton. Bei der anstehenden Erneuerung der Modellfamilie, die sich von 2017 bis 2021 hinziehen dürfte, wollen die Herren Dürheimer und Frech (Entwicklung) ihren früheren Arbeitgeber in die Pflicht nehmen. MSB heißt das Objekt der Begierde, modularer Standardantrieb-Baukasten.

Was nur die halbe Wahrheit ist, denn selbstverständlich haben die Porsche-Ingenieure in das Front-Mittelmotor-Layout auch einen Allradantrieb hineinkonstruiert. MSB debütiert Ende 2016 im Panamera-Nachfolger. Die Matrix lässt sich skalieren - nach unten bis etwa 4,50 Meter (Sportwagenformat), nach oben bis circa 5,50 Meter (Mulsanne-Format). Dazwischen ist viel Platz für das kaum veränderte Maßkonzept des neuen Conti GT, der 2017 auf den Markt kommen soll. Neben dem 2+2-sitzigen Coupé erwarten wir wieder ein Cabrio und den weitgehend eigenständigen Flying-Spur-Viertürer.

Zu den herausragenden MSB-Tugenden gehören das geringere Gewicht, die ausgeglichenere Achslastverteilung, die entsprechend hohe Fahrdynamik und eine zeitgemäße Elektronik. Motorisch bleibt es beim Mix aus V8 und W12, plus optionalem Hybrid und V8-Diesel für die Limousine.

Rolls-Royce bringt Anfang 2016 ein Cabriolet auf Wraith-Basis auf den Markt. Mit rund 300 000 Euro wird das Drophead Coupé mehr als 100 000 Euro teurer sein als der günstigste Bentley GTC. "Wir sind Marktführer in der Preisklasse von 200 000 Euro netto aufwärts", freut sich Müller-Ötvös. Bentley denkt sogar über eine noch kostspieligere Cabrio-Variante nach. "Das Ende 2014 vorgestellte Grand Convertible könnte in einer sehr exklusiven Kleinserie gebaut werden", verrät Wolfgang Dürheimer. Wenn die Controller das Projekt abnicken, dürfte auf gleicher Basis nicht nur ein später Azure-Nachfolger, sondern auch die Neuauflage des großen Brooklands Coupé entstehen.

Doch Vorsicht - wie volatil diese Nische ist, demonstrieren unter anderem die schwach nachgefragten zweitürigen Rolls-Royce-Modelle. Obwohl wichtige Märkte wie China, Russland und Amerika ostentativen Luxus unverändert schätzen, wollen offenbar nur wenige Superreiche in einem 5,61 Meter langen Zweitürer vorfahren.

Neue Einstiegsmodelle bei Bentley?

Auf die Frage nach einer möglichen Programmerweiterung gab sich Bentley-Chef Dürheimer schon im Herbst 2014 sibyllinisch: "Mir gefällt der Gedanke eines Sportwagen-Einstiegsmodells, wir sind uns aber auch der Lücke zwischen Continental GT und Mulsanne bewusst." Bei einer Pressekonferenz Anfang 2015 brachte Dürheimer dann einen zweiten, etwas kleineren SUV ins Spiel. Darüber hinaus belebt ein nicht näher definierter Bentley-Supersportwagen immer wieder die Gerüchteküche. Alles nur Nebelkerzen und Blindgänger? Nicht ganz.

Die Produktstrategen sind dem Vernehmen nach primär am unteren Ende der Preisskala interessiert - genauer gesagt an der Lücke zwischen dem 911 Carrera S und dem 911 Turbo. Vantage Fighter heißt der Wagen im Werksjargon, denn das neue Frontmotorcoupé hätte vor allem den Aston Martin V8 im Visier. Mit MSB-Hardware, Hinterrad- oder Allradantrieb und bis zu 500 PS könnte der Zweisitzer ab 2019 das Segment aufmischen.

Bespoke steht für maßgefertigt. Das steht bei beiden britischen Luxusmarken hoch im Kurs

Bespoke heißt das Stichwort, das hier wie dort die Augen der Kostenrechner zum Leuchten bringt. Bespoke steht für maßgeschneidert - das betrifft nicht nur Lack und Leder, sondern auch Sonderwünsche wie Applikationen aus laminierter Fischhaut, feuerfeste Sitzbezüge oder ein extragroßes Faltschiebedach. "Möglich ist fast alles", weiß Müller-Ötvös. Neun von zehn RR-Kunden konsultieren die Bespoke-Abteilung. Bei Bentley ordert nur ungefähr jeder dritte das sportliche Mulliner-Paket, doch die Möglichkeiten der Individualisierung bleiben auch hier selten ungenutzt.

Rolls-Royce entwickelt für alle künftigen Fahrzeuge, also auch für den SUV, eine neue Aluminium-Spaceframe-Matrix, die von den großen BMW-Modellen nur wenige Bauteile wie Zentralelektronik und Antriebskonzept übernimmt. Die Struktur ist leichter, vielseitiger, steifer und effizienter - vor allem in Verbindung mit der Hybridtechnik. Die große Batterie, die im Phantom-Nachfolger mit dem V8-Benziner und der E-Maschine gemeinsame Sache macht, kann spätestens zur Modellpflege auch induktiv geladen werden. Erwartet wird das neue Flaggschiff Ende 2017. Während der Phantom Hinterradantrieb behält, kann die zweite Generation von Ghost und Wraith (beide ebenfalls auf ASF-Basis) auch mit vier angetriebenen Rädern bestellt werden.

Der nächste Bentley Mulsanne sucht von 2020 oder 2021 an vermutlich wieder die goldene Mitte zwischen Ghost und Phantom - wenn ein Mulsanne-Nachfolger denn überhaupt abgesegnet wird. Es gibt nämlich durchaus Stimmen, die stattdessen für eine aufgewertete, besonders große Variante des Flying Spur plädieren. Ob der antike 6,75-Liter-V8 die nächsten Emissions-Hürden nehmen kann, darf ebenfalls bezweifelt werden. Aber vielleicht gelingt es ja, mithilfe eines modifizierten W12 zumindest das legendäre Hubvolumen noch ins nächste Jahrzehnt hinüber zu retten.

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Quelle:
SZ vom 31.01.2015
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