Süddeutsche Zeitung

Verkehrssicherheit:"Der Platz auf den Radwegen reicht nicht mehr aus"

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Fahrräder, Pedelecs - und bald auch noch E-Scooter: Der Präsident des Deutschen Verkehrssicherheitsrats fordert mehr Raum für schwächere Verkehrsteilnehmer.

Interview von Marco Völklein

Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) plant eine Änderung der Straßenverkehrsordnung (StVO), um Fahrradfahrer besser zu unterstützen. So soll zum Beispiel das Halteverbot für Kraftfahrzeuge auf schmalen Schutzstreifen, die nur mit einer gestrichelten Linie von der Kfz-Fahrbahn getrennt werden, genau festgeschrieben werden. Aber reicht das? Fragen an Walter Eichendorf, den Präsidenten des Deutschen Verkehrssicherheitsrats (DVR). Die Organisation fordert seit Kurzem explizit eine "fahrradfreundliche StVO".

SZ: Herr Eichendorf, warum braucht es aus Ihrer Sicht eine fahrradfreundliche Straßenverkehrsordnung?

Walter Eichendorf: Der Radverkehr bereitet uns schon seit Längerem große Sorge. Das Radverkehrsaufkommen nimmt stetig zu, seit einigen Jahren kommen auch noch Pedelecs hinzu, in Kürze werden auch noch Elektrokleinstfahrzeuge, besser bekannt als Elektro-Tretroller, auf den Radwegen unterwegs sein dürfen. Wir stellen jetzt bereits fest: Der Platz auf den Radwegen reicht nicht mehr aus. Und er wird in Zukunft noch weniger ausreichen.

Aber um das Problem zu lösen, müsste man doch mehr Radwege bauen. Und nicht die StVO ändern.

Das stimmt so nicht. Natürlich braucht man eine bessere Infrastruktur, dazu müsste man bei der Planung von Straßen und Plätzen ganz anders vorgehen. Aber der Gesetzgeber könnte auch in der StVO konkrete Mindestbreiten für Radverkehrsanlagen festschreiben. Bislang gibt es hier nur Empfehlungen, wonach ein Radweg mindestens 1,60 Meter, maximal zwei Meter breit sein sollte. Daran kann sich eine Kommune orientieren, muss es aber nicht. Die Unfallforschung der Versicherer schlägt vor, die Breite verbindlich auf 2,25 Meter festzulegen.

Was meinen Sie konkret damit, wenn Sie fordern, dass man bei der Planung von Straßen anders vorgehen müsste?

Bisher planen wir den Straßenraum von der Mitte nach außen: Zunächst wird geschaut, wie viel Platz die Autos und Lastwagen in der Mitte brauchen, vielleicht auch noch Bus und Straßenbahn. Anschließend wird geguckt: Was bleibt dann übrig? Ist noch genügend Platz da, wird ein Gehsteig angelegt und ein baulich davon getrennter Radweg. Bleibt aber nicht genug Platz, müssen sich Radler und Fußgänger den engen Raum teilen. Das kann es nicht sein.

Und wie sieht Ihr Vorschlag aus?

In Dänemark oder Holland planen die Kommunen die Straßen von außen nach innen. Zunächst wird den schwächsten Verkehrsteilnehmern genügend Platz eingeräumt, damit diese sicher unterwegs sein können, also den Fußgängern und Radfahrern. Und erst dann wird geschaut, welchen Rest des Platzes man dem Autoverkehr einräumt.

Aber was passiert, wenn da dann so wenig Platz bleibt, dass man den Autos nur noch eine Einbahnstraße geben kann?

Dann bleibt es bei dieser Einbahnstraße. Mehr ist dann eben nicht drin. In den Niederlanden zum Beispiel gibt es Kommunen, da werden ein Drittel aller Wege mit dem Fahrrad zurückgelegt. Das erreicht man nur, wenn dem Radverkehr von der Politik und den Planern der entsprechende Vorrang gegenüber den anderen Verkehrsteilnehmern eingeräumt wird.

Nicht jede Straße bietet genug Platz, um 2,25 Meter breite Radwege anzulegen.

Das stimmt. Deshalb plädieren wir dafür, an solchen Stellen die Höchstgeschwindigkeit für den Kfz-Verkehr abzusenken - beispielsweise auf 30 Kilometer pro Stunde.

Das geht doch jetzt auch schon.

Ja, aber laut StVO nur, wenn die Straßenverkehrsbehörde nachweist, dass hier eine besondere Gefahrenlage herrscht. Besser wäre es aus unserer Sicht, wenn ein solcher Nachweis nicht mehr nötig wäre.

Aber Sie gehen nicht so weit und fordern, wie mancher Radlobbyist, die Umkehrung der Regelgeschwindigkeit - also generell Tempo 30 innerorts und Tempo 50 oder 60 in Ausnahmefällen?

Die Diskussion dazu wird seit Jahren geführt - ohne ein Ergebnis. Deshalb plädieren wir dafür, das in einigen Kommunen im Rahmen von Modellversuchen einfach mal auszuprobieren und wissenschaftlich zu begleiten. Dann wüsste man nach spätestens zwei Jahren, wie sich das auf die Verkehrssicherheit auswirkt, aber auch auf andere Faktoren wie den Verkehrsfluss oder den Schadstoffausstoß.

Was sollte aus Ihrer Sicht noch drinstehen in einer fahrradfreundlichen StVO?

Ein großes Problem sind nach wie vor Abbiegeunfälle an Kreuzungen, das zeigt ein Blick in die Unfallstatistik. Radfahrer werden insbesondere von nach rechts abbiegenden Autofahrern übersehen. Solche Unfälle ließen sich vermeiden, wenn an Kreuzungen sogenannte "Refuge Islands" errichtet werden würden, kleine Betoninseln, die den Kfz-Verkehr besonders beim Abbiegen vom Radverkehr trennen. Wenn man das richtig macht und dann noch die Ampelphasen fahrradfreundlicher gestaltet, hilft das unglaublich viel.

Kostet aber auch viel Geld ..

Ja und nein. Im Radverkehr geht es oft um kleine Verbesserungen, die relativ wenig Geld kosten, den Radfahrern aber viel bringen. In München zum Beispiel wurde den Radverkehrsbeauftragten ein Budget von mehreren Millionen Euro pro Jahr eingeräumt, mit dem sie kleinere Verbesserungen finanzieren können. Steht zum Beispiel die Sanierung einer Straßenkreuzung an, werden diese Fachleute dazu gehört. Und stellen die dann fest, dass man zum Beispiel durch eine kleine Umbaumaßnahme die Situation für Radfahrer verbessert, können sie mal eben 500 000 Euro aus ihrem Etat dazugeben, um das relativ rasch zu ermöglichen - ohne über die zusätzlichen Kosten lange diskutieren zu müssen. Gäbe es so etwas in jeder Kommune, wären wir schon deutlich weiter.

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Quelle:
SZ vom 11.05.2019
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