Süddeutsche Zeitung

IAA 2019:Tausende Demonstranten ziehen durch Frankfurt

Lesezeit: 2 min

Von Christina Kunkel, Frankfurt

Der Mann mit Sonnenbrille und Porsche-Polohemd schaut kurz irritiert, als ihm ein junger Mann im Greenpeace-Shirt einen Flyer anbietet. "Nein" sagt er dann und geht durch den Messeeingang der IAA. Ein paar Meter weiter verteilt ein anderer junger Mann für einen Autohersteller Gutscheine für Sonnenbrillen. Seine Zettel finden größeren Absatz. In Frankfurt treffen an diesem Samstag zwei Welten aufeinander.

Auf der einen Seite Menschen, die immer noch fasziniert sind von glänzendem Blech und großem Hubraum. Auf der anderen Seite, hinter dem Zaun vor der Messe, Menschen, für die Autos in Zukunft eine Nebenrolle im Verkehr spielen - und aus den Städten am besten ganz verschwinden sollen.

18000 Menschen sind mit dem Fahrrad per Sternfahrt zur Kundgebung vor der Messe gekommen. 7000 weitere sind zu Fuß bei einem Demozug durch die Stadt gezogen. Diese Zahl nennen die Veranstalter. Die Polizei spricht von insgesamt 15000 Demonstranten. Klimaschutz- und Umweltgruppen haben sich zum Bündnis "#aussteigen" zusammengeschlossen. Sie werfen der Automobilindustrie vor, den Wandel zu emissionsfreier Elektromobilität nicht entschlossen genug voranzutreiben und unter anderem weiter auf klimaschädliche Stadtgeländewagen (SUVs) zu setzen.

Stattdessen müsse es Vorrang für Rad- und Fußverkehr sowie Bus und Bahn geben, fordern sie. Die Marketingabteilung eines Autoherstellers leistet sich dann auch gleich einen Marketing-Fauxpas. Direkt an der Demoroute plakatieren sie Werbung für ihren neuen SUV mit dem Slogan "Logenplatz auch im Stadtverkehr - der neue City-SUV". Ob man der Autoindustrie so wirklich abnimmt, dass sie es ernst meint mit Klimaschutz und Mobilitätswende?

Für die tausenden Demonstranten in Frankfurt ist die Antwort klar: Nein. Es bleibt alles friedlich, beim Demozug durch die Stadt sieht man alle Generationen. "Ich will, dass die Stadt wieder lebenswert wird", sagt Wolfgang, der seinen Nachnamen nicht in der Presse lesen möchte, aber er verrät, dass er extra aus Köln zur Demo angereist sei. Auf seinem Schild steht "Ich hasse Autos." Ganz so krass sehe Wolfgang das nicht. "Aber aus der Stadt, da sollen sie raus", sagt er.

Überhaupt sind viele Menschen, die an diesem Samstag in Frankfurt demonstrieren, Stadtbewohner. Sie erzählen, wie sie sich beeinträchtigt fühlen durch den zunehmenden Autoverkehr. Viele haben selbst schon längst kein Auto mehr. Als Radfahrer und Fußgänger hätten sie Angst, vor allem vor den großen SUVs.

Wolfgang Koch hat mit zwei Mitstreitern eine Online-Petition gestartet. "SUVs raus aus unseren Städten," fordern sie. Aber das sei natürlich nur der Anfang. Eigentlich sind auch sie dafür, dass gar keine Autos mehr im urbanen Raum unterwegs sind. Ihre Flyer greifen den Unfall in Berlin auf, bei dem vergangene Woche vier Menschen starben, als sie ein SUV überfuhr. Auf den Bühnen sprechen Vertreter verschiedener Organisationen und Verbände. Marion Tiemann von Greenpeace kritisiert, dass die Automobilindustrie Kanzlerin Angela Merkel auf deren IAA-Rundgang nur "die Elektro-Feigenblätter" gezeigt habe. "Die dicken Klimakiller, die standen aber schön dahinter", sagt Tiemann.

Wie der städtische Verkehr verbessert werden könnte, erklärt Heiko Nickel, der einen Radentscheid in Frankfurt durchgesetzt hat: "Jetzt kriegen wir 75 Kilometer Radwege in den nächsten drei Jahren." Eine direkte Konfrontation zwischen Messebesuchern und Demonstranten gibt es übrigens nicht. Dafür sorgen Absperrungen vor dem Eingang, die auch die Straße davor einschließen. Es gibt auch gar keine Versuche von Seiten der Protestler, diese Absperrungen zu überwinden. Drinnen sollen Angaben der Messeveranstalter zufolge bislang 60000 Menschen die IAA besucht haben. Am Sonntag hat dagegen die Bewegung "Sand-im-Getriebe" angekündigt, die Messe zu blockieren. Dann werden die beiden Welten wohl doch noch einmal unvermittelt aufeinanderprallen.

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