Süddeutsche Zeitung

Engpass auf der Schiene:Per Katapult nach Westerland

Lesezeit: 3 min

Eine Satire bietet eine alternative Reisemöglichkeit nach Sylt. Dahinter steckt ein ernsthaftes Anliegen - denn die beliebte Ferieninsel hat ein großes Verkehrsproblem.

Von Peter Burghardt

Mit der Catapult Air geht es jetzt sehr schnell auf die deutsche Lieblingsinsel, das war eine wirklich gute Idee. Keine Schienen, keine Verspätungen. Nur ein kurzer Flug. "Da", sagt ein Betreiber und zeigt am Deich mit dem gebotenen Ernst aufs Wattenmeer und eine schemenhafte Landmasse, "da ist Sylt. Und mit uns sind sie in zwei Minuten da."

Man setzt sich mit Gepäck auf die Schleuder und fliegt hinüber, landet drüben in einer Art Hüpfburg am Strand oder im Wasser. "Wir halten viel aus und können auch viel ertragen", erläutert ein weiterer Mann von Catapult Air, "aber irgendwann ist auch mal Ende. Wir haben das Gefühl gehabt", er hebt die rechte Hand, "wir wurden am langen Hindenburgarm ausgehungert. Was heißt verrückte Idee", er zuckt mit den Schultern, "es musste ja was passieren. Wir haben also unsere eigene Infrastruktur geschaffen."

Seit einigen Tagen ist dieses durchaus sehr lustige Video der fiktiven Catapult Air ("Im hohem Bogen nach Sylt") im Netz zu bewundern. Mehr als 200 000 Menschen haben es schon gesehen, darunter vermutlich die meisten der 20 000 Sylter und 4500 Pendler sowie Zehntausende Touristen. "Ein Hilfeschrei", sagt Moritz Luft, Geschäftsführer der Sylt Marketing GmbH, die den Gag gemeinsam mit einer Werbeagentur entwickelt hat. "Denn mittlerweile", wie es im Nachspann heißt, "ist das hier echt nicht mehr lustig."

Die Trasse durchs Wattenmeer ist in miserablem Zustand

Im echten Leben hängt das Eiland seit 1927 am Hindenburgdamm wie an einem Tropf. Es gibt zwar auch eine Fähre und Flugzeuge, aber die große Mehrheit der Dienstreisenden und Urlauber fährt mit der Bahn über diese Trasse durchs Wattenmeer. Die einen sitzen dabei in ihrem Fahrzeug auf dem Autozug, die anderen in Abteilen - und fast alle regen sich auf, weil die Strecke in einem miserablen Zustand ist und sie ständig hängen bleiben.

22 Kilometer zwischen Niebüll und Westerland sind seit der Einweihung vor 91 Jahren immer noch eingleisig, obwohl dort jeden Tag 120 Züge hin- und herfahren und allein in Mai und Juni 2018 mehr als 150 Züge ausgefallen sind. Angesichts der ständigen Verzögerungen, Ausfälle und Proteste steht am Ende der viel geklickten Katapult-Satire ein Hinweis auf eine reale Onlinepetition, die einen zweigleisigen Ausbau der beiden Engpässe fordert.

Mehr als 10 000 Menschen unterstützen den Aufruf bereits und in Kürze wird sich zeigen, ob der Ruf auch in Berlin angekommen ist.

Die Deutsche Bahn (DB) hat angesichts des Spotts und der Aufregung über kaputte Schienen, Weichen, Kupplungen und so weiter auf der Marschbahnstrecke zwischen Hamburg und Sylt kürzlich reagiert. 160 Millionen Euro sollen bis 2022 in die Trasse investiert werden, 200 Kilometer Gleise und 30 Weichen erneuert werden. Die DB verspricht damit "einen stabilen Zugverkehr für Inselbewohner, Pendler und Touristen". Doch bei diesen Planungen fehlt bisher das auf Sylt ersehnte Wort: Zweigleisigkeit.

Das Problem ist dabei keineswegs jener Teil des berühmten Hindenburgdamms, der durch die Nordsee führt. Der wurde schon seit 1972 zweigleisig erweitert, die Züge rauschen aneinander vorbei. Die zwei Nadelöhre, in denen ständig der Verkehr stecken bleibt, liegen unmittelbar davor und dahinter: zwischen Morsum und Keitum auf Sylt sowie zwischen Niebüll und Klanxbüll auf dem Festland. Für solche Baumaßnahmen jenseits der Sanierung allerdings wäre der Bund zuständig, aber der Bund erwähnt bisher nur die Passage zwischen Niebüll und Klanxbüll, und das lediglich im sogenannten potenziellen Bedarf seines Bundesverkehrswegeplans 2030.

Im September soll nun darüber beraten werden, ob die gewünschten Projekte in die Kategorie "vordringlicher Bedarf" hochgestuft werden. Danach ginge es um die Finanzierung. Mindestens 100 Millionen Euro aus dem Bundeshaushalt würden diese 22 Kilometer Gleise kosten, den Bauauftrag bekäme die Bahn. Aber auch diese auf Sylt ersehnte Entscheidung wäre nur ein erster Schritt, denn am Anfang stünde erst mal ein Planfeststellungsverfahren. Einen Planfeststellungsbeschluss kann es erst geben, falls etwaige Klagen und Einsprüche überwunden wären. Man weiß auch aus anderen Fällen, dass da Jahre ins Land gehen können, bevor die Bautrupps anrücken dürften.

Technisch wäre die Sache kein allzu großes Problem, auch wenn es um sensiblen Marschboden geht. Doch was würden Landwirte der betroffenen Gebiete sagen, oder Hausbesitzer? In Keitum zum Beispiel wird zwar auch viel über die sagenhaft unpünktlichen Züge geschimpft, vor allem von wartenden Pendlern am Bahnhof. Doch in Keitum stehen auch einige der teuersten Anwesen von Sylt, Baustellen sind da entsprechend unbeliebt.

Schnell wird es auf keinen Fall gehen, so viel steht fest. Und jeder Eingriff wäre fürs erste mit weiteren Behinderungen verbunden. Ohnehin hält sich die Begeisterung bei der Bahn schon deshalb in Grenzen, weil doppelte Gleise nicht automatisch einen höheren Ertrag versprechen - die Verbindung nach Sylt ist für die Bahn AG auch so seit Jahrzehnten ein wunderbares Geschäft, trotz der zunehmenden Ärgernisse und trotz oder auch wegen der lange fehlenden Investitionen.

Zumindest der Druck hat in diesen Monaten des Zorns zugenommen. Der Sylter Bürgermeister Nikolas Häckel, die Sylter Pendlerinitiative, die Sylt Marketing GmbH, Schleswig-Holsteins Regierung und ihre Vertreter in Berlin, der Sylter Ingbert Liebing - sie alle versuchen, Verkehrsministerium und Bahn davon zu überzeugen, dass es Zeit für diese Schienen wird. Sonst braucht Sylt am Ende tatsächlich die Catapult Air.

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Quelle:
SZ vom 04.08.2018
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