Süddeutsche Zeitung

Elektromobilität:Die Autoindustrie wird zum Tankwart - für Strom

Lesezeit: 3 min

Analyse von Markus Balser, Thomas Fromm und Max Hägler

Es gab Zeiten, da lachten deutsche Automanager über Elektroautos. Alles unrealistisch, alles zu langsam, und vor allem zu wenig Sex Appeal. Ein Auto ohne Auspuff und Motorenlärm, fanden die Altgedienten in den Chefetagen, kann nie ein richtiges Auto sein.

Die Zeiten haben sich geändert, und zwar schneller als viele dachten. Die Dieselaffäre bei VW hat gezeigt, dass die Ingenieure an ihre Grenzen gekommen sind, die immer strengeren Abgas-Auflagen aus der Politik bringen die Ingenieure und Manager ins Schwitzen und erzeugen den notwendigen Druck für den Wandel.

Wer keine Elektroauto-Strategie hat, ist draußen

Auf einmal ist alles anders in der Branche, die Konzerne überbieten sich mit Ankündigungen. BMW will seinen Absatz von Elektroautos im nächsten Jahr auf 100 000 steigern - so viel, wie zwischen 2013 und 2016 zusammen verkauft wurden. Daimler will bis 2025 zehn neue E-Fahrzeuge entwickeln und dafür Milliarden ausgeben. Und Volkswagen, der Dieselsünder, plant gleich ganz groß: Weltmarktführer bei E-Autos solle die Kernmarke VW im Jahre 2025 sein, kündigte Markenchef Herbert Diess neulich an. Weltmarktführer, wieder mal. Darunter geht es nicht. Wer jetzt keine große Elektroauto-Strategie hat, der ist draußen.

Das Problem der Hersteller ist nur: Sie investieren Milliarden, aber in den Autohäusern machen die Kunden einen großen Bogen um diese Autos. Selbst die seit Sommer geltende Kaufprämie für Elektroautos blieb ein Flopp. Und dafür gibt es einen Grund: Wer zum Beispiel von München ins benachbarte Rosenheim will und dort eine Aufladestation hat, kommt gut hin und wieder zurück. Wer nach Nürnberg fährt und nicht weiß, wie er dort seine Batterie auftanken soll, hat ein Problem.

14 000 Tankstellen, 150 Schnellladesäulen

"Reichweitenangst" nennen Verkehrspsychologen diese Phobie, irgendwo liegen zu bleiben. Wer Benzin im Tank hat und alle paar Kilometer an einer Tankstelle vorbeifährt, kennt diese Angst nicht. Wer mit einer Batterie fährt, die nach 100 Kilometern leer ist - oder auch schon früher, je nach Jahreszeit und Heizgewohnheit des Fahrers - , der kennt sie schon. Denn Ladepunkte und Tankstellen für die leisen Gefährte sind bisher rar.

Bislang stehen gerade mal an fünf Prozent der rund 430 Rastanlagen in Deutschland Schnellladesäulen. Auf bundesweit 150 kommt der Verband der Automobilindustrie (VDA). Dem stehen etwa 14 000 herkömmliche Tankstellen gegenüber.

Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) hatte schon vor zwei Jahren zugesagt, dass Autofahrer bereits im Jahr 2017 die Strecke von der Nordsee bis zur Zugspitze ohne Probleme in einem Elektroauto zurücklegen können. Davon aber ist das Land weit entfernt. Zwar läuft ein Förderprogramm der Regierung noch. Demnach sollen an allen bewirtschafteten Rastplätzen zwei Schnellladepunkte entstehen. Doch selbst das wäre viel zu wenig, um dem erwarteten Zuwachs Herr zu werden.

Das ist der Grund, warum die Hersteller nun beschlossen haben, einige Hundert Millionen Euro in ein eigenes Schnellladenetz zu investieren. Die Bundesregierung sieht das positiv. "Wir unterstützen den Hochlauf alternativer Antriebe", sagt Dobrindt. Der Aufbau einer flächendeckenden Infrastruktur sei der Schlüssel dafür. Rund 300 Millionen Euro steckt allein die Bundesregierung in den nächsten Jahren in den Aufbau von 15 000 öffentlich zugänglichen Ladesäulen. Bis 2020 sollen diese technisch weniger aufwendigen Geräte vor allem im ländlichen Raum entstehen - und so die zweite große Lücke schließen.

Technisch gesehen ist der Plan für das schnelle Laden an Schnellstraßen eine große Herausforderung für Autohersteller. Denn die bislang in Städten üblichen Ladesäulen, die zwischen 20 000 und 30 000 Euro kosten, reichen künftig nicht mehr aus. Schon das Laden eines kleinen Smarts dauert dort sechs Stunden. E-Autos von morgen aber, etwa der Mission E von Porsche, sind größere und schnellere Gefährte. Da würde das Laden auf herkömmlichem Weg einen ganzen Tag dauern.

Die Zapfsäulen kosten bis zu 150 000 Euro

Ziel der neuen Initiative ist es, die Autos in wenigen Minuten zu laden. Dann aber muss der Bedarf für 100 Einfamilienhäuser in kurzer Zeit aus dem Kabel kommen. Die Stecker werden dabei so warm, dass Kühlsysteme eingebaut werden müssen. Diese Hochleistungs-Zapfsäulen von ABB oder Siemens kosten 100 000 bis 150 000 Euro. "Das sind Pionierzeiten", sagt ein Entwickler der Autoindustrie. Er geht von einer schrittweisen Steigerung der Kapazitäten aus. 2017 könnten neue Autos in fünf Minuten genügend Strom für 100 Kilometer aufnehmen. Das ließe sich in den nächsten Jahren weiter verbessern.

Kostenlos wird es die Energie nicht geben - im Gegenteil. Auch das Tanken dürfte für die Branche zum Geschäftsmodell werden. Möglicherweise in Kooperation mit Energieversorgern wie EnBW, RWE oder Vattenfall, die ihrerseits vor allem in Städten an einer Ladeinfrastruktur arbeiten. Den Aufwand dürfte sich die Branche von den Kunden bezahlen lassen. Viel Energie ganz schnell gezapft, das gilt als Extra-Service. Deswegen wird die Kilowattstunde wohl mehr kosten als die 20 bis 30 Cent, die Versorger den Stromkunden zu Hause berechnen. Mehr als 80 Cent sollen es nicht werden, heißt es in der Industrie. Den Tankwart will dabei die Autoindustrie spielen. Dienstleister sollen in ihrem Auftrag wohl die Abrechnung übernehmen.

Der Tankwart darf sich dann wohl einiges anhören. Eine Batteriefüllung könnte mit bis zu 80 Euro noch etwas mehr kosten als einmal Volltanken mit Benzin.

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Quelle:
SZ vom 30.11.2016
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