Süddeutsche Zeitung

BGH-Urteil zu Fahrradunfall:Mitschuld für Helmverweigerer?

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Der Bundesgerichtshof entscheidet über einen Fall, der das Leben vieler Radler empfindlich verändern könnte: Ist ein Radfahrer, der keinen Helm trägt, selber schuld, wenn er sich bei einem Unfall am Kopf verletzt?

Von Wolfgang Janisch

Die einen sorgen sich um die Frisur oder wollen sich nicht durch ein Accessoire verunstalten, das letztlich der Welt des Militärs entstammt. Andere wollen sich einen Rest an mobiler Anarchie im Straßenverkehr bewahren. Der Wind in den Haaren, die Freiheit auf zwei Rädern - Gründe gegen den Fahrradhelm findet man überall. Nur leider nicht im Reich der Vernunft.

An diesem Dienstag verhandelt der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe über einen Fall, der das ungetrübte Verhältnis der Deutschen zum Fahrrad empfindlich verändern könnte. Wenn ein Radler ohne eigene Schuld in einen Unfall verwickelt wird - darf die Versicherung ihm den Schadensersatz kürzen, nur weil er keinen Helm getragen hat?

Der Albtraum jedes Stadtradlers

So hat es das Oberlandesgericht (OLG) Schleswig entschieden, und der Fall ist der Albtraum jedes Stadtradlers. Auf dem Weg zur Arbeit fuhr eine Physiotherapeutin aus Glücksburg im April 2011 an einem falsch geparkten BMW vorbei - just in diesem Augenblick riss der Fahrer die Tür auf. Die Frau, damals Ende 50, stürzte schwer: mehrfache Schädelfraktur, Schädel-Hirn-Trauma, Blutungen. Ein Helm, schrieb ein Gutachter später, hätte als Knautschzone gewirkt und den Schädelbruch womöglich vermieden.

Zwar gilt in Deutschland keine Helmpflicht für Radfahrer. Aber das OLG Schleswig brachte eine fiktive juristische Figur ins Spiel, einen Avatar der Vernunft, der zur Helmpflicht durch die Hintertür führen könnte: Der "ordentliche und verständige Mensch", so die Richter, hätte bedacht, dass der Straßenverkehr dichter und Radfahren deshalb gefährlicher geworden sei. Deshalb trage ein "ordentlicher und verständiger Mensch" heutzutage Helm, "zur Vermeidung eigenen Schadens". Das Gericht kürzte den Schadenersatzanspruch der Frau um 20 Prozent.

Die Gerichte sind sich uneinig

Ob der BGH dies bestätigen wird, ist ungewiss. Immerhin stehen die norddeutschen Richter mit ihrer Ansicht bisher alleine da. Andere OLGs - etwa in Düsseldorf, Saarbrücken und Celle - lehnen ein Mitverschulden des unbehelmten Radlers ab. Auch Rechtsanwalt Jörg Elsner vom Deutschen Anwaltverein hält nichts von solchen Kürzungen, solange sich der Gesetzgeber nicht zur Einführung einer Helmpflicht entschließe. Auch, weil sich der Kopfschutz keineswegs allgemein durchgesetzt habe: Nur 15 Prozent aller Radler trügen einen Schutzhelm.

Andererseits gibt es ein paar Indizien dafür, dass die Richter hier künftig strenger werden könnten. Rennradfahrer riskieren schon jetzt Einbußen bei ihren Ansprüchen, wenn sie helmlos über die Straßen jagen. Ähnliches gilt auf der Skipiste, die in Deutschland ebenfalls keine Helmpflicht kennt: Einem Skiläufer ohne Helm, der ohne eigenes Verschulden auf der Piste umgefahren worden war, attestierte das OLG München hinsichtlich seiner Kopfverletzungen ein Mitverschulden von 50 Prozent.

Schon einmal hat der BGH einen Zweiradfahrer in die Mithaftung genommen, weil er ohne Helm fuhr. Der Mann hatte sich 1961 bei einem Motorradunfall am Kopf verletzt. Bereits damals habe es ein "allgemeines Verkehrsbewusstsein" über die schützende Wirkung des Helms gegeben, entschied das Gericht 1965 - elf Jahre vor Einführung der Helmpflicht für Motorradfahrer.

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Quelle:
SZ vom 16.06.2014
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