Süddeutsche Zeitung

Internationale Automobil-Ausstellung:Die IAA mutiert zur Elektronik-Messe

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Nur eben mit Autos: Es gibt einige Gründe, warum viele Hersteller der Frankfurter Automesse fernbleiben. Das heißt aber nicht, dass die IAA an Bedeutung verliert.

Von Thomas Fromm, München

Nicht so sehr die Absage schlug ein, sondern die Art und Weise, wie sie dann später begründet wurde. "Wir bewerten jedes Event, um den besten Weg zur Interaktion mit unseren Kunden zu finden", erklärte der kalifornische Elektroautobauer Tesla seine Nicht-Teilnahme an der Frankfurter Automobilausstellung IAA. Das klang in etwa so: Wir haben das geprüft, aber ihr passt nicht zu uns, sorry! Und außerdem sei man ja kein traditioneller Autohersteller. Was also soll man dann bei dieser IAA? Man hätte die ganze Tesla-Nummer vielleicht abtun können als kühle Antwort auf eine überhitzte alte Autowelt. "Wir sind die Neuen, wir sind die Coolen, wir brauchen dieses ganze alte Messe-Zeug nicht." Aber es geht wohl um mehr.

Denn es haben auch andere die IAA-Teilnahme abgesagt. Hersteller, die ganz eindeutig zu den traditionellen Autobauern gezählt werden dürfen: Nissan, Alfa Romeo, Fiat, Infiniti, Jeep, Mitsubishi, Peugeot, Rolls-Royce, Volvo. Wenn also nicht nur Tesla das Hochamt der internationalen Autoindustrie schwänzt, sondern auch die anderen, dann gibt es ein Problem.

Es gebe längst zu viele Messen, sagen die einen. Das gelte vor allem für Technologie-Messen wie die Consumer Electronics Show (CES) in Las Vegas. Der Branchentreff der Autohersteller in Frankfurt sei ja inzwischen auch so etwas wie eine Schau der Unterhaltungselektronik, und Autos seien IT auf vier Räder gepackt und mit reichlich PS ausgestattet. Außerdem: Die Millionen, die man für ein paar Tage Automesse ausgibt, könne man als Firma auch besser investieren.

Das Internet und seine neuen Werbekanäle seien schuld, sagen die anderen. Was natürlich ein Killerargument ist, denn das Internet ist ja meistens schuld, wenn sich etwas verändert. Wenn sich jeder jederzeit die Welt digital anschauen kann, braucht niemand mehr aus dem Haus, geschweige denn auf Automessen zu gehen.

Der VW-Konzern begann früh damit, Automessen zu entzaubern

Andererseits: Messen waren ja nie nur reine Autoshows. Messen dienten immer auch dazu, dass sich Automanager auf großen Partys trafen und über die Manager sprachen, die gerade nicht dabei waren. Um dann, am Morgen danach, in kleinen improvisierten Büros aus Stellwänden hinter den Autobühnen Deals zu besprechen, oder um Jobwechsel und Karrierechancen zu sondieren. Warum soll das alles auf einmal keine Rolle mehr spielen?

Vielleicht ist ausgerechnet das Auto selbst ein Grund dafür, dass Automessen nicht mehr das sind, was sie einmal waren.

Der VW-Konzern begann schon früh damit, Automessen zu entzaubern, indem er ihnen am Vorabend die Show stahl. Es war immer das gleiche Ritual: Ein paar Stunden vor der IAA-Eröffnung stand erst mal die große VW-Show an. Die Wolfsburger luden Tausende Gäste ein, holten Seilartisten und Ballettgruppen auf die Bühne, das britische Pop-Duo Pet Shop Boys oder die französische Filmdiva Catherine Deneuve, gaben reichlich Nebel und Lichteffekte dazu - fertig war der große Auto-Zirkus, der eigentlich nie mehr sein sollte als eine verkaufsfördernde Maßnahme für all die Škodas, Golfs und Lamborghinis auf der Bühne. Nur, dass sich das dann schnell ins Gegenteil drehte: Die Autos, eigentlich die top acts jeder Messe, wurden zur Kulisse. Vorne standen Tänzer, Sänger und Männer wie VW-Patriarch Ferdinand Piëch. Piëch tanzte nicht und er sang auch nicht, aber er war trotzdem ein VW-Show-act der besonderen Art. Weil er viel über die Branche im Allgemeinen und die Zukunft von Managern und Konkurrenten im Besonderen sprach, nannte man ihn auch das "Orakel".

Während das Orakel orakelte, bereitete man sich in den Hallen auf die großen Messetage vor. Die einen wischten Staub von Motorhauben, andere, wie Fiat, setzten Mädchen in Hotpants und tief dekolletierten Kleidern auf ihre Autos. Die Idee dahinter war, dass die meist männlichen Besucher mehr Fotos von den Autos machen würden, wenn diese nicht so ganz allein da stehen würden.

Dabei gab es schon einmal Zeiten, als das Auto noch für sich stand. Anfang der 50er-Jahre, als Lack und Chrom noch der Maßstab für Glamour waren und die meisten Messebesucher sich ohnehin keinen Opel, Mercedes oder Borgward leisten konnten, oft ja nicht einmal einen Käfer. Aber darum ging es ja nicht in den ersten Jahren des Wirtschaftswunders. Autos waren die Verheißung auf ein anderes Leben, auf Freiheit und Mobilität. Und Automessen die dazugehörige Liturgie.

Je wuchtiger der Messeauftritt, umso wichtiger der Hersteller

Als dann immer mehr Menschen ein Auto hatten, begann die Zeit der Inszenierungen. Bei General Motors wurde der Buick Centurion Mitte der 50er-Jahre zu einem Artefakt in Rot, Weiß und Chrom. Man hätte ihn auch in eine Kunstausstellung packen können, so wie viele andere Modelle aus jenen Jahren. Als Autos dann aufhörten, Überraschung und Kunst zu sein und zur Commodity wurden, also zur Ware, einem reinen Gebrauchsgegenstand, wurden sie sich immer ähnlicher, und je austauschbarer die Fahrzeuge, Marken und ihr Design wurden, desto mehr versuchten die Aussteller, ihre Messeauftritte zur eigentlichen Botschaft zu machen.

VW und seine Tochter Audi zum Beispiel: Jahrelang wollte der Konzern der größte und beste seiner Zunft sein. Also wurden die Türme aus Stahl, weißem Kunststoff und Glas, die man in den Hallen errichtete, immer größer und immer höher. Je wuchtiger die mehrstöckigen Landschaften, je mehr Quadratmeter ein Hersteller in den Hallen anmietete, desto wichtiger war er wohl - so ging die Formel.

Wer auf Hybridantriebe setzt, zeigt keine halbnackten Frauen

Andere wie der japanische Hersteller Toyota waren da schon weiter. Sie erzählten Geschichten, indem sie ihre Messeauftritte als Wellness-Kuren mit Natur-Videos über der Bühne und transzendentaler Musik inszenierten. Wer auf umweltfreundliche Hybridantriebe setzt, legt auf seinem Stand nicht "Born to be wild" auf und zeigt auch keine halbnackten Frauen.

Geschichten - vielleicht wird das die Zukunft der Automessen sein. Wenn das Auto, das ohnehin schon lange nicht mehr im Mittelpunkt steht, neu erzählt wird. Viel wichtiger als die Frage, welche zwölf Marken diesmal nicht dabei sind, ist daher auch die Frage, wer eigentlich sonst noch so dabei ist und mit dem man eigentlich nicht gerechnet hätte. Google zum Beispiel, oder das Chip-Unternehmen Qualcomm, der Softwarehersteller SAP oder Facebook. Und die chinesischen Autobauer WEY und Chery.

IAA ohne Volvo und Fiat, das muss nicht unbedingt heißen, dass Automessen tot sind. Es könnte aber ein sicheres Indiz dafür sein, dass sie sich gerade sehr verändern. Denn wenn Autokonzerne Automessen verlassen und dafür Unternehmen wie Qualcomm auftauchen, dann werden Automessen irgendwann vielleicht ganz normale Elektronik-Messen. Nur eben mit Autos.

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Quelle:
SZ vom 12.09.2017
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