Süddeutsche Zeitung

Zoologie:Tiger = Tiger

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Neun - oder zwei? Womöglich gibt es weniger Unterarten der Raubtiere, als bisher gedacht. Das könnte sie vor dem Tod bewahren.

Von Kai Kupferschmidt

Weniger als 4000 Tiger leben heute in der Wildnis, ihre Verbreitung ist auf ein Zehntel des ursprünglichen Gebiets geschrumpft. Trotz zahlreicher Schutzprogramme ist die größte aller Großkatzen vom Aussterben bedroht. Eine scheinbar akademische Frage könnte großen Einfluss auf ihr Schicksal haben: Wie viele Unterarten des Tigers gibt es?

Bisher werden neun Tigerunterarten unterschieden. Drei von ihnen sind bereits im vergangenen Jahrhundert ausgestorben: der kaspische Tiger und die Tiere auf Bali und Java. Sechs Unterarten leben noch: Der Amur-Tiger in Sibirien, der Bengal-Tiger, der südchinesische Tiger, der indochinesische Tiger, der Malaysia-Tiger und der Sumatra-Tiger.

Nicht neun, sondern nur zwei Unterarten des Tigers

Um sie zu retten, investieren Artenschützer jedes Jahr über 40 Millionen Euro - mehr als für jedes andere Tier. Dabei wird jede Unterart getrennt behandelt. In Zuchtprogrammen werden jeweils nur Tiere einer Unterart miteinander verpaart. Wenn Tiger irgendwo ausgewildert werden, dürfen es nur Tiere der Unterart sein, die dort auch heimisch ist. So solle die natürliche Vielfalt des Tigers erhalten bleiben, sagt Volker Homes von der Umweltschutzorganisation WWF.

Doch nun behaupten Forscher vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung in Berlin, dass es nicht neun, sondern nur zwei Unterarten des Tigers gibt. Der Malaysia-Tiger würde mit den ausgestorbenen Bali- und Java-Tigern eine Unterart bilden, den Sunda-Tiger. Die restlichen sechs Unterarten gehörten zu einer zweiten Unterart zusammengefasst, dem Kontinental-Tiger. Die Wissenschaftler haben vorhandene Daten zu Schädelform, Fellzeichnung, Ökologie und Genetik gesammelt und zusätzlich Museumsexemplare ausgestorbener Tiger untersucht.

"Ich finde die Studie ziemlich überzeugend"

"Die Arterhaltung auf viele Unterarten zu verteilen, für die es wenige oder keine wissenschaftlichen Belege gibt, könnte das Überleben des Tigers behindern, weil es große Gemeinschaftsprogramme zur Arterhaltung verhindert", schreiben die Forscher im Fachblatt Science Advances.

"Ich finde die Studie ziemlich überzeugend", sagt Urs Breitenmoser, Zoologe an der Universität Bern. Er ist Vorsitzender der Expertengruppe für Katzen in der Weltnaturschutzunion, die die Rote Liste bedrohter Tierarten erstellt. Bereits vor zwei Jahren habe man sich darauf geeinigt, die Einteilung der Katzen grundsätzlich zu überprüfen, sagt er. Eine Kommission soll noch dieses Jahr ihre Ergebnisse vorlegen. Dann könnte auch die Zahl der Tigerunterarten reduziert werden.

Welche Konsequenzen das hätte, sei nicht abzusehen, sagt Homes. "Einerseits würde das unsere Arbeit erleichtern." So könnten Bengal-Tiger, von denen es möglicherweise an die 2000 Tiere gibt, eingesetzt werden, um die Population des südchinesischen Tigers aufzupäppeln. "Das Tier ist in der freien Wildbahn vermutlich ausgestorben, auch wenn das keiner so sagt", erklärt Homes.

Ein Supervulkans tötete vermutlich die meisten Tiere

Außerdem könnten Tausende Tiger, die in Zoos geboren wurden, aber Eltern unterschiedlicher Unterarten haben, plötzlich in Zucht- und Auswilderungsprogrammen eingesetzt werden. Viele Länder seien aber auch stolz darauf, ihre eigene Tigerunterart zu haben, warnt Homes. "Es besteht die Gefahr, dass einige sich weniger verantwortlich fühlen, den Tiger zu schützen, wenn es nicht mehr 'ihr' Tiger ist."

Einige Forscher kritisieren die Studie. Genetisch seien neun Unterarten klar zu unterscheiden, sagt etwa Shu-Jin Luo, Genetikerin an der Peking-Universität. Ein Teil des Problems ist, dass Tiger wenig Zeit hatten, sich in einzelne Unterarten zu entwickeln. Vor zwei Millionen Jahren streiften die Tiere durch ganz Asien. Doch eine Katastrophe vor 70 000 Jahren, vermutlich der Ausbruch des Supervulkans Toba auf Sumatra, löschte die meisten Tiere aus.

Eine einzige Population überlebte und verteilte sich dann wieder über Asien. Die Unterschiede, die Forscher heute sehen, seien also in den letzten 70 000 Jahren entstanden, sagt Luo. Diese Zeit reiche aus, um sich genetisch, aber nicht äußerlich in unterscheidbare Unterarten zu entwickeln. "Genetik ist viel objektiver als Unterschiede in Schädelform oder Fellzeichnung", sagt Luo. "Darum sollten wir uns danach richten."

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SZ vom 30.06.2015
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