Süddeutsche Zeitung

Wetter:Ist dieser Frost noch normal?

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Von Patrick Illinger

Nun ist also doch noch eingetreten, was man gemeinhin mit der Jahreszeit Winter verbindet: Es ist kalt geworden. Nach dem grauen, aber äußerst milden Weihnachtswetter und einem Januar, der stolze 4,3 Grad über dem langjährigen Mittelwert lag, macht sich der ausklingende Winter in Mitteleuropa nun mit zweistelligen Minusgraden unangenehm bemerkbar. Zapfig is, wie Bayern sagen.

Zwar scheint in weiten Teilen Deutschlands immer wieder die Sonne durch. Ihre wärmende Wirkung wird aber von Massen kalter, trockener Luft zunichte gemacht, die ein stabiles Hochdruckgebiet nördlich von Deutschland aus Nordosteuropa herbeiweht wie ein im Uhrzeigersinn rotierendes Schaufelrad. Weil die vorwiegend aus Russland stammende arktische Luft auf ihrem Weg nach Deutschland über zumeist gefrorenen und teils beschneiten Boden zieht, erwärmt sie sich kaum. Und das Wasser der Ostsee kann lediglich ein bisschen Feuchtigkeit beisteuern, weshalb es mancherorts schneit.

Am Nordpol herrschen Plusgrade

Auch wenn von der Zugspitze minus 27,5 Grad gemeldet werden, ist diese Wetterlage um diese Jahreszeit meteorologisch gesehen an Normalität kaum zu überbieten. Man muss schon penibel in den langjährigen Daten suchen, um festzustellen, dass die aktuelle Hochdruck-Schaufel samt der Polarluft etwas später auftritt als in den meisten anderen Jahren: Üblicherweise tritt das Phänomen, für das boulevardesk orientierte Wetter-Medien-Menschen vor einiger Zeit den Begriff "Russenpeitsche" erfunden haben, eher Mitte als Ende Februar auf.

Eine der Ursachen sind Kapriolen des sogenannten Jet-Streams. Das sind heftige Höhenwinde, die sich üblicherweise wie ein gewundenes Band um den Polarkreis schlängeln und die Arktis von südlicheren Gefilden abschotten. Schlagen Schleifen des Jet-Streams nach Süden aus, können sich die Gegebenheiten umkehren: Kalte Luft strömt dann nach Mitteleuropa, und am Nordpol herrschen Plusgrade wie in den vergangenen Tagen.

1986 fror die Hamburger Alster wochenlang zu

Doch das Wetter ist eben nicht nur eine Sache der Physik, eine Frage von Luftdruck und Temperatur, sondern auch eine zutiefst psychologische Angelegenheit. Die Milde des bisherigen Winters hat das Gefühl erzeugt, der Frühling könne nicht mehr weit sein. Umso gemeiner erscheint es, wenn dann Ende Februar noch der Frost hereinplatzt, am Schluss des letzten der drei meteorologischen Wintermonate. Dabei ist der Januar zwar statistisch der kälteste Monat des Jahres, aber der Februar ist kaum wärmer. Ein weiterer psychologischer (und irgendwie sympathischer) Effekt ist, dass Menschen das aktuelle Wettergeschehen immer wieder als absolutes Novum empfinden. War es je so kalt in Deutschland?

Oh ja, muss man sagen, und als Beleg hierfür dient nicht nur der Rekordwinter 1962/63, in dem von München bis Bremerhaven an 61 Tagen Minustemperaturen herrschten und das Thermometer in Berlin auf minus 31,6 Grad fiel. 2009/10 gab es in Ost- und Süddeutschland mehr als 40 Tage lang Frost. 1986 fror die Hamburger Alster wochenlang zu. 2006 waren weite Teile Bayerns meterhoch von Schnee bedeckt. Von alldem kann derzeit keine Rede sein. Und für die ersten Märztage sind bereits wieder Plusgrade vorhergesagt.

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Quelle:
SZ vom 27.02.2018
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