Süddeutsche Zeitung

Verhaltensbiologie:Krieg oder Frieden?

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Schimpansen, Wölfe und sogar Ameisen wägen genau ab, ob es sich lohnt, eine gegnerische Gruppe anzugreifen.

Von Tina Baier

Wenn Schimpansen Krieg führen, geht es ähnlich zu wie bei den Menschen, als sie noch nicht über Langstreckenraketen und Atomwaffen verfügten. Es beginnt damit, dass sich die stärksten Männchen zusammenrotten und die Grenzen ihres Territoriums entlang patrouillieren. Treffen sie dabei auf eine andere Gruppe, beginnt ein großes Geschrei, das die Gegner beeindrucken soll. Manchmal kommt es dann zum Kampf mit Verletzten und Toten. Auch Gefangene werden gemacht, und nicht selten ziehen die Sieger ins Lager der Verlierer, um Weibchen zu rauben. Manchmal trennen sich die Gruppen aber auch, ohne dass mehr passiert als ein bisschen Brustgetrommel. Wie entscheiden die Tiere, ob sie angreifen oder nicht?

Um ein Territorium voller Nahrung und Verstecke wird besonders hart gekämpft

Die meisten Verhaltensbiologen gehen davon aus, dass die Größe der Gruppen dabei eine entscheidende Rolle spielt. Und zwar nicht nur bei Schimpansen, sondern auch bei Löwen, Vögeln, Ameisen und anderen Tieren, die als Mannschaften gegeneinander antreten. Demnach checken die Tiere ab, ob der Gegner zahlenmäßig unterlegen ist. Ist das der Fall, greifen sie an. Sind dagegen beide Gruppen etwa gleich stark, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie friedlich auseinandergehen.

Den Autoren einer Studie zufolge, die gerade im Wissenschaftsjournal Trends in Ecology and Evolution erschienen ist, ist das zu einfach gedacht. Ihrer Ansicht nach spielen noch viele andere Faktoren eine Rolle bei der Entscheidung, ob es sich lohnt, aufeinander loszugehen, oder nicht.

"Neben vielen anderen Faktoren berücksichtigten Gruppen auch, wie wichtig die Sache ist, um die sie kämpfen", sagt Patrick Green vom Centre for Ecology and Conservation der University of Exeter, der die Studie geleitet hat. In den meisten Fällen gehe es darum, Territorium zu erobern beziehungsweise zu verteidigen. Dabei lassen sich viele Tierarten der Studie zufolge wahrscheinlich eher auf einen Kampf ein, wenn es um ein Territorium geht, in dem es viel Nahrung und gute Verstecke gibt.

Erdmännchen mit Jungtieren sind besonders motiviert und gewinnen öfter

Auch die Zusammensetzung der Gruppe kann eine Rolle für die Entscheidung zum Kampf spielen. Bei Wölfen beispielsweise kommt es den Autoren zufolge öfter vor, dass eine kleine Gruppe mit vielen Männchen eine größere mit vielen Weibchen besiegt, weil diese kleiner und den männlichen Tieren körperlich unterlegen sind.

Bei Erdmännchen gebe es dagegen einen "Motivationsvorteil", schreiben die Autoren. In territorialen Auseinandersetzungen gewinnt auffällig oft diejenige Gruppe, in der es mehr Jungtiere gibt. Und zwar auch dann, wenn sie zahlenmäßig unterlegen ist. Die Mütter und Väter werden demnach von der Aussicht auf größere Nahrungsressourcen für ihren Nachwuchs angetrieben.

Sogar Ameisen, genauer gesagt Schildkrötenameisen, die überdimensionierte Köpfe haben, mit denen sie den Eingang zu ihren Nestern versperren, scheinen zu differenzieren. Den Autoren zufolge kämpfen die Insekten härter um Nester, die einen engeren und daher leichter zu verteidigenden Eingang haben, als um solche mit breitem Zutritt.

Die Fähigkeit abzuwägen, ob es besser ist anzugreifen oder einem Kampf aus dem Weg zu gehen, ist essenziell, weil jede aggressive Auseinandersetzung immer auch das Risiko birgt, verletzt oder gar getötet zu werden. Für Gruppenschlachten gilt das sogar noch mehr als für "dyadische" Kämpfe zwischen zwei Individuen. Wie beim Menschen gibt es auch bei Kriegen im Tierreich fast immer Tote und Verletzte. Auseinandersetzungen zwischen zwei Individuen etwa um ein Weibchen werden hingegen oft so ausgetragen, dass keiner der beiden Kontrahenten ernsthaft Schaden nimmt.

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