Süddeutsche Zeitung

Astronomie:Sinnvoller als bemannte Missionen zum Mond

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Das erste Foto eines Schwarzen Lochs zeigt eine Welt, in der Zeit und Raum ihre Bedeutung verlieren. Das ist nicht nur faszinierend, es bringt auch wichtige wissenschaftliche Erkenntnisse.

Kommentar von Marlene Weiß

Natürlich sind es letztlich auch nur Daten: Radiowellen, gesammelt von Teleskopen, ausgewertet von einem Supercomputer. Den Weltraum fotografiert man heute kaum noch mit klassischen Kameras. Aber am Ende steht doch ein Bild. Es ist jedem zugänglich, die unglaubliche Geschichte, die es erzählt, ist auch ohne große Fachkenntnisse verständlich. Die Aufnahme eines riesigen Schwarzen Loches, die Astronomen am Mittwoch veröffentlicht haben, gehört in die Reihe jener Bilder, welche die Dinge in ein Vorher und ein Nachher einteilen - ähnlich vielleicht wie die ersten Aufnahmen der Erde aus dem All.

Dabei macht es auf den ersten Blick gar nicht so viel her: ein dunkler Schatten, umgeben von leuchtend roten Wolken, alles recht verschwommen. Aber was man da sieht, ist erstaunlich: Man blickt in einen Abgrund der Raumzeit. 6,5 Milliarden Sonnenmassen sind in dem Schwarzen Loch im Zentrum der Galaxie M87 unter ihrer eigenen Schwerkraft auf einen Punkt kollabiert. Zeit und Raum verlieren dort ihre Bedeutung. Es ist, als hätte das Gewebe des Kosmos einen Riss; Wissenschaftler sprechen von einer Singularität.

Den Punkt selbst zu erblicken ist unmöglich. Man sieht nur den sogenannten Ereignishorizont: die Hülle des Schwarzen Loches, innerhalb derer nichts dem Sog der Gravitation entkommen kann, auch das Licht nicht. Aber auch das ist beeindruckend. Die Schwerkraft rund um diesen Horizont lenkt das Licht heißer Gase auf bizarre Bahnen; so entsteht das charakteristische Donut-Muster. Obendrein rotiert das Ganze, und mit ihm die Raumzeit, auch wenn man sich das nur mit Gedankenverknotungen vorstellen mag.

Es ist der erste direkte Beweis, dass Schwarze Löcher wirklich real sind, nicht nur mathematische Konstrukte. Auch wenn die vielen indirekten Nachweise, nicht zuletzt aufgrund der Entdeckung von Gravitationswellen im Jahr 2015, daran kaum noch einen Zweifel gelassen haben: Erst jetzt werden Schwarze Löcher wirklich greifbar. Lange wurde eine solche Aufnahme für nahezu unmöglich gehalten. Gelungen ist sie nur dank der erstaunlichen Fortschritte in der Radiowellen-Astronomie und dank der weltweiten Initiative, mehrere Teleskope zu einem großen, virtuellen zusammenzuschalten.

Die Arbeit wird aber auch die Grundlagenforschung voranbringen, weil sie ganz neue Untersuchungen der Allgemeinen Relativitätstheorie und der Entstehung von Galaxien erlaubt. Damit hat sie anderen aktuellen Weltraum-Unternehmungen einiges voraus. China und erst recht den USA unter Donald Trump kann es derzeit gar nicht schnell genug gehen mit einer neuen Mondlandung. Auch dabei geht es zuallererst um Bilder, Bilder allerdings, die niemandem wirklich etwas bringen, außer jenen, die sich dafür feiern lassen. Warum es viele Milliarden und erhebliche Risiken für die Sicherheit von Astronauten wert sein soll, weitere Fußabdrücke auf dem Mond oder gar ganz neue auf dem Mars zu hinterlassen, bleibt aus nüchterner Sicht ein Rätsel. Die Menschheit bringt das jedenfalls nicht voran.

Wer sich wirklich erhabene Bilder anschauen möchte, sollte sich lieber an die Aufnahme des Schwarzen Loches halten, so bescheiden sie zunächst wirken mag. Dass Menschen aus der allgemeinen Beschränktheit ihrer Existenz heraus so tief in die Abgründe von Raum und Zeit hineinsehen können, ist und bleibt eine faszinierende Leistung.

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Quelle:
SZ vom 11.04.2019
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