Süddeutsche Zeitung

Psychologie:Bitte recht freundlich und alt!

Lesezeit: 2 min

Wenn Menschen lächeln, sehen sie offenbar ein wenig älter aus. Dieser Gesichtsausdruck macht nämlich Falten sichtbar.

Von Sebastian Herrmann

Wer den Glauben an das Gute im Menschen verlieren möchte, der könnte kurz in den Abgrund namens Instagram blicken. Dieses soziale Netzwerk ist die Hauptbühne des Influencereiwesens, eines Betätigungsfeldes, in dem meist junge Frauen Bilder von sich selbst hochladen, um auf Produkte - Mode, Kosmetik, Luxusartikel - aufmerksam zu machen, die ihnen Firmen zu diesem Zweck zur Verfügung stellen. Das alles sieht deprimierend fad und austauschbar aus. Gerne stehen unter den Fotos Kalendersinnsprüche, die der Sache auf verzweifelte Weise Tiefgang zu verleihen versuchen. "Jeder Tag ohne ein Lächeln ist ein verschwendeter Tag", ist so ein altbewährter Spruch. Als Beobachter denkt man sich dann oft angesichts der Bild-Spruch-Schere: Dann lächele halt auch, statt die Lippen zum Klischee-Duckface zu schürzen.

Aber womöglich machen diese Instagram-Androidinnen instinktiv alles richtig. Gerade haben nämlich Wissenschaftler um Naoto Yoshimura von der japanischen Kyushu-Universität eine Studie publiziert, die zeigt: Lächelnde Gesichter wirken älter als solche, die neutral dreinblicken. Und alt auszusehen ist vermutlich das Schlimmste, was im Beauty-Lifestyle-Influencerwesen denkbar ist. Der Grund für diese verzerrte Form der Gesichtswahrnehmung bestehe wohl darin, dass sich durch ein Lächeln Falten vor allem um die Augenpartie bilden, so das Team um Yoshimura. Ein Duckface spannt dagegen Gesichtsmuskulatur und Haut - wobei die Forscher diese Form des Ausdruckes nicht untersucht haben.

Lange Zeit galt es als sicher, dass ein Lächeln den gegenteiligen Effekt hat und verjüngend wirkt. Zweifel daran weckte eine Studie, die Tzvi Ganel und Melvyn Goodale 2018 im Fachblatt Psychonomic Bulletin & Review veröffentlichten. Darin zeigten die Forscher, dass unter gewissen Umständen ein Lächeln eben älter aussehen lässt. Der Knackpunkt bestand darin, dass der unmittelbare Eindruck das Alter des Lächelnden höher erscheinen lässt, in der Erinnerung beziehungsweise in der Retrospektive sich aber ein verjüngender Effekt einstellt.

Es ist also ein wenig kompliziert. Hinzu kommt, dass in der Studie von Ganel und Goodale Studierende aus Israel Fotos von Menschen aus Schweden begutachteten. Da drängte sich die Frage auf, ob die kulturellen Unterschiede die Ergebnisse womöglich verzerrt haben und ob der beobachtete Effekt überhaupt generalisierbar ist.

Die Forscher um Yoshimura wiederholten daher die Studie, die ihre Kollegen 2018 publiziert hatten. Vor allem ging es darum, die Versuche in verschiedenen kulturellen Kontexten zu organisieren. Dazu betrachteten und beurteilten nun Probanden aus Japan Fotos von lächelnden oder anders dreinblickenden Japanern; und das gleiche machten schwedische Studienteilnehmer mit Fotos von Menschen aus Schweden. Einmal sollten die Probanden das Alter abgebildeter Menschen sofort schätzen, wenn sie das Foto betrachteten. Unter diesen Bedingungen wirkte ein Lächeln im Vergleich zu einem neutralen oder erstaunten Gesichtsausdruck so, als wären schon ein paar mehr Jahre vergangen. Sollte die Schätzung hingegen erst im Rückblick abgegeben werden, werteten die Probanden ein Lächeln als Signal von Jugend.

Diesen Effekt beobachteten die Forscher sowohl in der Stichprobe aus Japan als auch in jener aus Schweden, wobei er in Japan überraschenderweise wesentlich deutlicher ausfiel. Verblüffend ist das deshalb, weil sich in Japan und anderen Teilen Asiens laut den Forschern die visuelle Aufmerksamkeit beim Betrachten eines Gesichts eher auf die Nasenpartie konzentriert, während im europäisch geprägten Kulturraum die Augenregion im Vordergrund steht - dort, wo sich die Lachfältchen bilden. Es bleibt kompliziert. So oder so gilt: Ein Lächeln zu schenken, ist fast jeden Preis wert, und wenn dieser nur darin besteht, ein wenig älter auszusehen.

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