Süddeutsche Zeitung

Psychologie:Für immer ich

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Warum tätowieren sich Menschen die Namen ihrer Partner auf die Haut? Wieso wundern wir uns über den Musikgeschmack, den wir als Jugendliche hatten? Menschen unterschätzen chronisch, wie sehr sie sich im Laufe ihres Lebens verändern, sagen US-Wissenschaftler.

Von Sebastian Herrmann

Wer sich das Logo einer Band oder den Namen seiner Partnerin tätowieren lässt, unternimmt das mit einer klaren Meinung. Er ist überzeugt, dass er in einigen Jahrzehnten noch immer die gleiche Musik schätzt und die gleiche Frau lieben wird.

Doch Menschen ändern sich, sie kapieren es nur nicht. Statt dessen ärgern sie sich irgendwann über dämliche Tätowierungen aus Jugendtagen, staunen über ihre einstigen musikalischen Vorlieben und wundern sich, dass sie es so lange mit dem neurotischen Ex-Partner aushalten konnten.

Die Sache mit den Tätowierungen fasst in etwa zusammen, was Psychologen um Jordi Quoidbach und Daniel Gilbert von der Universität Harvard in Science (Bd. 339, S. 96, 2013) berichten: Menschen glauben, dass sich ihre Vorlieben, Einstellungen und ihre Persönlichkeit in Zukunft kaum ändern werden - obwohl sie wissen, dass sie sich in der Vergangenheit sehr wohl neu justiert haben.

Die Psychologen haben ihrem Befund den Titel "Illusion vom Ende der Geschichte" verliehen. "Menschen betrachten die Gegenwart als einen Wendepunkt in ihrer Biografie, an dem sie endlich die Persönlichkeit geworden sind, die sie für den Rest ihres Lebens bleiben werden", schreiben die Autoren. Dabei zeigten sich die mehr als 19.000 Probanden, deren Daten für die Studie ausgewertet wurden, von ihren Erinnerungen an die persönliche Vergangenheit unbeeindruckt.

"Alle haben erkannt, dass sie sich in den letzten zehn Jahren weiter entwickelt hatten", sagt Gilbert. "Aber jetzt fanden sie, dieser Wandlungsprozess sei abgeschlossen." Was er selbstverständlich nicht war - und das gilt für sämtliche Altersgruppen zwischen 18 und 68 Jahren, die für die Studie untersucht wurden.

Die Forscher ließen die Probanden in die Vergangenheit blicken oder Prognosen für die eigene Zukunft erstellen. Dann verglichen sie die Aussagen etwa eines 38-Jährigen über die vergangenen zehn Jahre mit den Vorstellungen für die Zukunft, die ein 28-Jähriger geäußert hatte. Beides klaffte auseinander - klar, einiges habe sich verändert, aber das sei in den kommenden Jahre nicht mehr zu erwarten, hieß es.

Doch lassen sich Erinnerungen und Zukunftsprognosen verschiedener Personen überhaupt seriös in Beziehung setzen? "Wir haben die Daten mit denen einer Langzeitstudie verglichen, in der die tatsächliche Persönlichkeitsveränderung der Teilnehmer untersucht wird", sagt Gilbert. Wieder verglichen die Psychologen zwar die Entwicklung unterschiedlicher Leute. Aber weil die Zahl der Probanden stets in den Tausenden lag - also groß war - hätten die Daten Aussagekraft, betonen die Forscher. Zumal der Grad der Veränderungen in beiden Studien fast identisch war.

In weiteren Experimenten stellten die Psychologen möglichst konkrete Fragen, um auszuschließen, dass die Probanden zuvor nur von abstrakten Kategorien oder Fragen nach genereller Veränderung irritiert und der Befund dadurch verwässert worden war. Abermals zeigte sich das gleiche Muster, zum Beispiel wenn Quoidbach und seine Kollegen nach dem Musikgeschmack fragten.

Die Teilnehmer sollten sagen, wie viel sie heute für ein Konzert der Band bezahlen würden, die sie vor zehn Jahren am liebsten gehört hatten. Und sie sollten angeben, was ihnen in zehn Jahren wohl ein Ticket für ein Konzert ihrer aktuell favorisierten Musiker wert sein würde. Wieder glaubten die Teilnehmer des Experiments, ihr aktueller Musikgeschmack habe besondere Haltbarkeit: Für ein Konzert in zehn Jahren hätten sie im Durchschnitt 61 Prozent mehr bezahlt.

Was ist da los? Warum sind Menschen blind dafür, dass sie nicht ewig dieselbe Musik schätzen und auf Jahre hinaus die exakt gleichen Einstellungen und Charakterzüge haben werden? "Darauf geben unsere Daten keine Antwort", sagt Gilbert, "aber andere Einsichten aus der Psychologie können die Frage klären." Die meisten Menschen seien nämlich recht zufrieden mit sich und ihrem aktuellen Zustand, sagt der Harvard-Psychologe. Die Vorstellung sich zu ändern, sei deshalb wenig attraktiv.

Klar, fast jeder will ein besserer, schönerer, erfolgreicherer Mensch werden, doch Gilberts Argumentation ist schlüssiger, als sie zunächst scheint. Trotz hehrer Lebensziele geben sich Menschen in Befragungen nämlich meist überzeugt, dass sie gute Einstellungen haben, dass sie an die richtigen Werte glauben und andere ihre Persönlichkeit doch schätzen müssten. Tja, und wer sich ändert, muss das alles aufgeben oder einsehen, dass er falsch lag. Für die meisten Menschen verständlicherweise eine wenig attraktive Option, sagt Gilbert, die Aussicht auf Änderung erschrecke eher.

Die Prognoseschwäche für die eigene Entwicklung könnte einen weiteren Grund haben: Es ist anstrengend, sich die Zukunft vorzustellen. "Wenn ich Sie frage, was es heute zum Frühstück gab, wissen Sie das sofort", versucht Gilbert zu verdeutlichen, "wenn ich wissen will, was es morgen geben wird, müssen Sie etwas länger überlegen." Wie aus zahlreichen Studien bekannt ist, reagieren Menschen auf solche kognitive Anstrengung recht seltsam: Sie werten die Leichtigkeit, mit der ihnen etwas einfällt, als Beleg für die Wahrscheinlichkeit, dass etwas eintritt oder wahr ist. Dass sie sich also nur schwer vorstellen können, sich künftig zu ändern, werten sie als Hinweis, dass dies nicht passieren wird.

Die Konsequenzen sind manchmal bitter. Die Illusion vom Ende der Geschichte stiftet zu schlechten Entscheidungen an, für Tätowierungen, überflüssige Anschaffungen und andere Sachen, die man künftig nicht braucht.

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Quelle:
SZ vom 04.01.2013
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