Süddeutsche Zeitung

Physik-Nobelpreisträger über Supraleitung:"Wir waren schon ein bisschen exotisch"

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Georg Bednorz, Physik-Nobelpreisträger 1987 und Entdecker der Hochtemperatur-Supraleitung, über den Erfolg einer gewagten Idee.

Christopher Schrader

Im Jahr 1987 war das Nobelkomitee für Physik ungewöhnlich schnell. Sonst dauert es oft Jahrzehnte, bis wichtige Entdeckungen ausgezeichnet werden. Aber die Arbeit, die 1987 geehrt wurde, war erst 18 Monate zuvor eingereicht worden: am 17. April 1986. Die Physiker Karl Alexander Müller aus der Schweiz und Johannes Georg Bednorz aus Westfalen beschrieben darin einen neuartigen Supraleiter aus Keramik, der widerstandslosen Stromfluss bei weitaus höheren Temperaturen als bisher versprach. Dieses Versprechen war schon bei Verkündigung der Preisträger eingelöst.

SZ: Herr Bednorz, vor 25 Jahren haben Sie Ihre nobelpreiswürdige Publikation über die ersten Hochtemperatur-Supraleiter eingereicht. Im Alltag angekommen scheint die Technik aber noch nicht zu sein. Andere Ergebnisse der Festkörperphysik, etwa der Transistor oder magnetische Festplatten, haben eine steilere Karriere gemacht.

Bednorz: Es gibt tolle Dinge, die schon auf Basis der Hochtemperatur-Supraleitung entstanden sind. Nur zwei aktuelle Beispiele. Vor zwei Jahren gab es den Deutschen Umweltpreis für einen energiesparenden, supraleitenden Heizer, der von den Firmen Bültmann und Zenergy Power entwickelt wurde.

Mit dem heizt man Aluminiumzylinder auf, bevor man sie verformen kann. Diese erste kommerzielle Anwendung der Hochtemperatur-Supraleitung spart der Metallindustrie 50 Prozent der Energiekosten ein.

Und Eon hat Anfang dieses Jahres einen supraleitenden Generator (siehe Bild) in ein bestehendes Wasserkraftwerk eingebaut. Man wollte die Kapazität erhöhen, hatte aber für einen herkömmlichen Generator nicht genügend Platz. Die Lösung war ein kleinerer supraleitender Generator, der zudem noch eine 35 Prozent höhere Leistung hatte. Und eines will ich Ihnen prophezeien: Wenn Sie in Innenstädten, wo die Kabelschächte bereits mit ölgekühlten Kupferleitungen vollgestopft sind, die Kapazität erhöhen müssen, dann nehmen Sie Supraleiter, die eine dreifach höhere Leistung ermöglichen, bevor Sie neue Gräben ziehen.

SZ: Bis jetzt gibt es nur Pilotprojekte.

Bednorz: Es gibt ein prominentes Projekt in Long Island, drei stickstoffgekühlte Kabel von je 600 Metern für drei Phasen des Stroms. Sie haben einen Durchmesser mit Kühlmantel von je 20Zentimetern und transportieren eine elektrische Leistung von ungefähr 600 Megawatt. Das ist die Leistung eines großen Kraftwerks. Diese Installation verbindet zwei Schaltstationen im konventionellen Stromnetz. Mit ihnen wird getestet, wie das mit der Kühlung klappt und welche Fehler auftreten können. In den Kabeln sind 150 Kilometer supraleitender Draht verwendet, der haardünn ist. Wenn man jetzt bedenkt, dass die Weltkapazität für die Produktion von Draht aus Hochtemperatur-Supraleitern vielleicht 1000 oder 2000 Kilometer beträgt, wird klar, warum es so langsam vorangeht.

SZ: Ist der supraleitende Draht ökonomisch konkurrenzfähig?

Bednorz: Supraleitende Kabel sind noch nicht konkurrenzfähig, sie kosten bis zu zehnmal so viel wie Kupfer. Da muss man also die Kosten und Vorteile abwägen. Aber wenn dieses Kapazitätsproblem gelöst ist, wenn man also mehr Draht für Kabel herstellen kann, wird der Herstellungsprozess für die Drähte preisgünstiger, und damit werden die Kabel konkurrenzfähig. Hierzu und für sinnvolle großtechnische Anwendungen brauchen wir Hunderttausende Kilometer supraleitenden Draht.

SZ: Kann man sich vorstellen, dass der Windstrom von der deutschen Meeresküste mit supraleitenden Kabeln in den Süden gebracht wird?

Bednorz: Warum denn nicht? Öl pumpen sie doch von wer weiß woher nach Europa, Gas wird durch Pipelines geleitet. Warum sollen wir nicht eine Röhre haben, in der ein supraleitendes Kabel drin ist? Dadurch wären wir in der Lage, aus allen Teilen der Welt Energie zu sammeln, zum Beispiel. Solarstrom aus der Sahara und Windenergie von woher auch immer der Wind bläst. Wenn wir aus der Kernkraft aussteigen, dann müssen wir jedes Watt sparen. Das geht mit Supraleitung, die neben verlustfreiem Transport - und dies ist ebenso wichtig - auch eine effizientere Energienutzung möglich macht.

SZ: Wie kamen Sie vor 25 Jahren darauf, es mit Keramik zu versuchen?

Bednorz: Die Fachwelt war damals überzeugt, Supraleitung funktioniert nur bis zu 25, maximal 30 Kelvin (Grad über dem absoluten Nullpunkt). Und wenn überhaupt, dann nur mit hochsymmetrischen Metallen, Legierungen oder intermetallischen Verbindungen. Es herrschte auch die Meinung, dass Sauerstoffatome in diesen Materialien die Supraleitung verhindern. Insofern waren wir schon ein bisschen exotisch mit unserer Idee, es mit metallischen Oxiden zu versuchen. Wir haben das natürlich keinem auf die Nase gebunden, vor allem weil wir nicht wussten, ob wir Erfolg haben würden.

SZ: Was ließ Sie glauben, dass Sie eine Chance haben?

Bednorz: Diese Oxide waren in unserem Labor jahrzehntelang untersucht worden, und eines von ihnen zeigte Supraleitung bei sehr tiefen Temperaturen, fast am absoluten Nullpunkt. Dies ließ uns hoffen, dass wir durch Modifizierung der chemischen Zusammensetzung ein Material mit höheren Übergangstemperaturen zur Supraleitung finden könnten. Die Grundbausteine für unsere Verbindungen waren Nickel oder Kupfer mit Sauerstoff. Es hat sich herausgestellt, dass diese Idee der richtige Ansatz zum Erfolg war. Wenn man nämlich zu Kupferoxid noch Lanthan und Barium einbaut, erhält man einen Hochtemperatur-Supraleiter mit einer Übergangstemperatur von 35 Kelvin.

SZ: Warum haben Sie selbst das Feld bald verlassen?

Bednorz: Ich habe noch ein paar Jahre weitergemacht. Aber dann hat es mir nicht mehr gepasst, mit Tausenden Kollegen, die sich auf das neue Feld der Hochtemperatur-Supraleitung gestürzt hatten, in dieselbe Richtung zu schwimmen.

SZ: Was haben die Kollegen denn in den vergangenen 25 Jahren herausgefunden?

Bednorz: Sie haben auf der Basis unseres Rezepts die chemische Zusammensetzung variiert und weitere Verbindungen entdeckt, die als Basiskomponente das wichtige Kupferoxid enthielten. Es gab einen dramatischen Anstieg der kritischen Temperatur T c, unterhalb derer die Materialien supraleitend werden. Wichtig war der Sprung über die Marke des flüssigen Stickstoffs bei 77 Kelvin, davon hatte man früher nur träumen können. Ein weiteres Material wurde einige Jahre später sogar bei 136 Kelvin supraleitend. Als Nächstes galt es herauszufinden, wie viel Strom und wie viel Magnetfeld die neuen Supraleiter aushalten, und wann die Supraleitung zusammenbricht. Inzwischen haben es Firmen geschafft, aus diesen Keramiken in Verbindung mit metallischen Röhren oder Folien supraleitende Drähte oder Bänder herzustellen, die Hunderte Ampere Strom tragen können.

SZ: Hat es Sie geschmerzt, dass die supraleitenden Magnete am neuen Beschleunigerring LHC im Cern, der 2009 eröffnet wurde, trotzdem keine Hochtemperatur-Supraleiter enthalten, sondern metallische?

Bednorz: Nein, das war eine gute Wahl. Gerade als wir die Hochtemperatur-Supraleiter entdeckt hatten, war am Cern in der Planung die Entscheidung notwendig, welche Art von Magneten man wählen sollte. Die Drähte aus den klassischen Verbindungen waren zuverlässig, während man bei den Hochtemperatur-Supraleitern zu dem Zeitpunkt noch gar nicht wusste, wie die sich langfristig verhalten. Also musste man auf eine etablierte Technologie setzen. Aber was mich sehr gefreut hat, ist, dass moderne Hochtemperatur-Supraleiter als Komponenten in der Stromzuführung für diese Magnete eingesetzt werden. Die leiten die höchsten Ströme zu den Magneten, das sind zwischen 600 und 13000 Ampere, während die normalen Kupferleitungen für 100 Ampere zuständig sind. Von insgesamt etwa 3000 Stromverbindungen sind ein Drittel solche Hochtemperatur-Supraleiter-Zuführungen am Cern in Betrieb, und sie arbeiten zuverlässig.

SZ: Trotzdem sind diese Anwendungen alltagsfern. Das sind Ideen für Infrastrukturprojekte oder Großgeräte.

Bednorz: Warten wir's ab. Ich bin schon 1993 von Kollegen in Jülich mit einem Sensor aus Hochtemperatur-Supraleitern, einem SQUID, also einem supraleitenden Quanteninterferenz-Device, medizinisch untersucht worden. Das ist ein sehr sensibler Magnetfeldsensor. Die Kollegen haben von mir ein Magnetokardiogramm aufgenommen. Ich habe das dann gleich mit meinem EKG, also dem Elektrokardiogramm, verglichen, und gesehen, dass in einem Magnetokardiogramm viel mehr Information steckt. Man weiß zwar nicht, was sie genau bedeutet, aber die Information ist da, und jetzt gibt es die Herausforderung an Ärzte und Wissenschaftler zu entschlüsseln, was in den Signalen steckt.

SZ: Na, ob das mal die Krankenkassen zahlen?

Bednorz: Die Jülicher haben mir erzählt, dass sie ihr Gerät auf einer Physiker-Konferenz vorgestellt und dabei ihre Physiker-Kollegen untersucht haben. Zwei davon fielen ihnen auf, weil das Kardiogramm ganz ungewöhnlich aussah, und sie rieten ihnen, dieses abklären zu lassen. Und das war höchste Zeit. Der Arzt konnte bestätigen, ja, da liegt ein Herzproblem vor. Vielleicht wird daraus in 20 Jahren ein Produkt, das wir so benutzen wie heute einen Blutdruckmesser. Die Frage ist nur, wie günstig sich so ein SQUID herstellen lässt und wie kreativ die Leute sind, die so etwas an den Mann bringen wollen. Ich bin überzeugt, dass die Supraleitung mit ihren vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten in vielen Bereichen unseres Alltags Einzug halten wird. Meist ohne dass wir es bemerken.

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Quelle:
SZ vom 19.04.2011
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