Süddeutsche Zeitung

Parasiten:Nichts als heiße Luft im Anti-Läuse-Laden

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Föhnen hilft nicht gegen Läuse? In Berlin tritt ein Geschäft jetzt den Gegenbeweis an. Eltern müssen ihre verlausten Kinder bloß noch abgeben.

Von Kathrin Zinkant, Berlin

Berlin, so heißt es oft, besteht aus vielen kleinen Dörfern. Der Prenzlauer Berg ist eines davon, und gewiss kein armes. Den Menschen hier geht es gut, es gibt viele nette Lokale, Einkaufsmöglichkeiten und sogar noch so etwas wie Eisenwarenläden. Wer hier lebt, muss das Dorf höchstens zum Arbeiten verlassen. Und seit Kurzem finden die vielen Eltern hier auch für die wohl verhassteste Situation der Kindergarten- und Grundschulzeit Hilfe. Dann nämlich, wenn sich Läuse auf den Kinderköpfen tummeln. ByeByeLäuse heißt der neue Laden. Zwischen Ökocafés, Yogaschulen und vietnamesischen Blumenläden kann der verlauste Nachwuchs hier für eine neuartige Entlausungstherapie abgegeben werden. Ganz ohne Chemie.

Ein undurchsichtiges Schaufenster schafft Privatsphäre. Innen drin herrscht dann eher kein Wellness-Bio-Chic. Das Ambiente ist klinisch, der Boden aus Kunststoff. Es hallt ein wenig. Über Friseurstühlen schweben grell beleuchtete Riesenlupen, ein paar Spielsachen verweisen auf das Alter der Kunden, auch eine Malwand gibt es. Naram Shakra ist heute alleine im Laden, ein rundlicher Mann mit freundlicher Stimme, der gerne erklärt, wie alles funktioniert. Er setzt sich auf einen der Stühle, faltet seine Hände über dem Bauch und sagt, fast beruhigend: "Was wir hier machen, ist keine Wissenschaft".

Das stimmt natürlich nicht so ganz. Das Verfahren, das ByeByeLäuse anbietet, rühmt sich zumindest im Internet ausgiebig seiner wissenschaftlichen Wurzeln. Entwickelt hat das System demnach ein Parasitologe: Dale Clayton von der University of Utah in Salt Lake City. Clayton ist ein anerkannter Läuseexperte, wenn auch eher für Läusespezies, die auf Vögeln leben. Für seine Kinder entwickelte er um die Jahrtausendwende eine Fönmethode gegen Pediculus humanus capitis, die menschliche Kopflaus, und nannte das Gerät den "Louse Buster". Vor sechs Jahren veröffentlichte er dann zwei Studien, die eine Wirksamkeit der Methode belegen sollen. Heute betreibt sein Franchise-Unternehmen unter dem neuen Namen AirAllé 500 Entlausungsshops auf der ganzen Welt, auch in Europa, vor allem in Frankreich. Nur in Deutschland gab es noch kein einziges der Geschäfte. Bis im vergangenen November ByeByeLäuse eröffnet wurde.

Ganz billig ist das Sorglospaket für verlauste Kinder nicht. Man muss es sich leisten können

Auf der Ablage vor den Spiegeln liegen Kämme, Lotionen und Shampooflaschen. Dazu kommt ein Spezialfön, der aussieht, wie ein überdimensionierter Diffusor zum Lockentrocknen. Aus den langen weißen Düsen des Einwegaufsatzes strömt während der Behandlung heiße Luft von exakt 55 Grad Celsius. Und das soll schon der ganzen Trick von AirAllé sein: Die Hitze und der druckreiche Luftstrom töten die Läuse. Zugleich soll die gewählte Temperatur schonend genug sein für die empfindliche Kopfhaut. Die ganze Behandlung dauert etwa eine Stunde. Und, wie die Werbung sagt: Sie funktioniert ohne Chemie.

Insektizide wie Allethrin, Permethrin und deren natürliche Vorbilder aus Chrysanthemen sind ein rotes Tuch für viele gesundheitsbewusste Eltern geworden. Zwar töten die Nervengifte recht gezielt viele Arten von Parasiten, insbesondere Kopfläuse. Den Kindern aber Shampoos mit Pestiziden auf den Kopf zu schmieren, welche zu allem Überfluss auch noch bis zu eine Stunde einwirken müssen, das erscheint vielen Eltern zu extrem. Unter den vom Bundesamt für Verbraucher und Lebensmittel empfohlenen vier Präparaten befinden sich bislang nur zwei Alternativen, die als ähnlich wirksam gelten. Sie enthalten das hoch konzentrierte Silikon Dimeticon, das Läuse und Larven mit einem luftundurchlässigen Film überzieht. Auch diese Mittel müssen teils lange einwirken. In jedem Fall ist anschließend eine aufwendige Kämmprozedur mit dem fein gezinkten Läusekamm nötig, um tote Läuse, Larven und Eier aus jeder Strähne zu entfernen.

Wie viele Kinder in Berlin oder überhaupt in Deutschland Läuse bekommen, ist unbekannt, man schätzt, dass pro Jahr um die acht Prozent der Jungen und 24 Prozent der Mädchen zwischen 6 und 12 Jahren zur Heimstatt für die Parasiten werden. Nicht immer wird der Befall von Eltern oder den Einrichtungen gemeldet. Doch erst der enge Kontakt befallener Kinder, insbesondere der Mädchen, die gemeinsame Nutzung von Kämmen und Bürsten, so wie gelegentlich auch das gemeinsame Schlafen oder getauschte Mützen ermöglichen Läusen ihre fortgesetzte Existenz. Springen können die kaum sichtbaren Geschöpfe nicht, fliegen schon gar nicht. Überleben würden sie jenseits eines Haarschopfes auch nicht sehr lange, die Tiere haben sich perfekt an die Temperatur der Kopfhaut angepasst. Dort erst einmal sesshaft geworden, sind Läuse allerdings hart im Nehmen: Häufiges Haarewaschen beseitigt die Parasiten ebenso wenig, wie es prophylaktisch wirkt. Ob sauber oder schmutzig: "Man kann nichts dafür, wenn man Läuse bekommt", sagt Birgit Habedank vom Umweltbundesamt.

Nach Läusen muss man suchen. Die Lupen im Berliner Anti-Läuse-Laden sind zuerst einmal dafür da, den Befall mit den zwei bis drei Millimeter großen Blutsaugern überhaupt festzustellen, auch die Eier der Läuse - die Nissen - lassen sich so besser von Schuppen unterscheiden. Falls Shakra Läuse findet, beginnt die Behandlung mit dem legendären Fön. Mindestens 20 Minuten werden Haaransatz und Kopfhaut behandelt. Danach verteilt er eine silikonhaltige Creme auf den Haaren, die mit dem Läusekamm Strähne für Strähne ausgekämmt wird. Zum Schluss wird noch gewaschen und gepflegt. Sieben Tage später folgt die Kontrolle. Sind die Läuse noch da, wird die Behandlung kostenlos wiederholt.

Im Grunde also alles wie zu Hause - nur nicht zu Hause, und mit etwas mehr Tamtam. "Offenbar handelt es sich um eine Kombinationstherapie mit Heißluft, Dimeticon-haltiger Creme und Auskämmen", sagt Läuseexpertin Habedank. Sie hält Kombinationstherapien grundsätzlich für begrüßenswert, sofern sie keine negativen Auswirkungen auf Gesundheit, Haar und Kopfhaut haben. Die Eltern müssten aber über den Einsatz eines läusetötenden Mittels aufgeklärt werden. Der Kampf gegen Läuse ist kein rein ästhetischer. Die Bisse der Tiere können zu Reizungen, Kratzwunden, Superinfektionen und schließlich schweren Entzündungen führen. Bislang unklar ist, ob Läuse Krankheiten übertragen.

Loswerden muss man sie so schnell wie möglich. Die Kinder einfach im Laden abzugeben, leuchtet deshalb ein, ganz egal, ob dabei die heiße Luft, die Silikonhaltige Haarcreme oder das klassische Auskämmen Wirkung tut. Am Ende bleibt es eine Frage des Geldes: Für zwei Kinder kostet die Behandlung zwischen 160 und 240 Euro, je nach Länge der Haare. Eine Mutter, die ihre Tochter am Abend zur Kontrolle bringt, sagt selbst: "Mein Mann hat mich für verrückt erklärt. So viel Geld!" Bereut hätten sie es aber nicht. Sie haben sich für das Geld viel Ärger und Arbeit erspart. Und eine Riesenschweinerei.

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Quelle:
SZ vom 26.03.2018
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