Süddeutsche Zeitung

Ozean im Klimawandel:Krise unter Wasser

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Von Tina Baier

Es ist nicht so sichtbar wie an Land - aber die Klimakrise beeinträchtigt auch die Ozeane und verändert sie. Wie genau dies geschieht, und welche Konsequenzen das für die Menschen haben kann, erläutert der Weltklimarat IPCC in einem Bericht, der an diesem Mittwoch in Monaco veröffentlicht wird. Doch wie wirkt sich der Klimawandel auf die Organismen aus, die in den Meeren leben? Auf Fische und Seeschlangen, Seesterne und Krebse, Muscheln, Würmer, Quallen und das Zooplankton, jene winzigen Tierchen, die überall im Wasser schweben und sich mit der Strömung von hier nach dort treiben lassen? "Darüber weiß man erschreckend wenig", sagt Michael Schrödl von der Zoologischen Staatssammlung in München. Und das wenige, was man weiß, lässt nichts Gutes ahnen.

Die Weltmeere nehmen geschätzt etwa 80 Prozent der Wärme auf, die der Mensch dem Klimasystem zuführt. Dadurch haben sich die Ozeane bis in eine Tiefe von 3000 Metern bereits deutlich erwärmt. Zudem gibt es auch im Wasser regelrechte Hitzewellen. "Im westlichen Mittelmeer beispielsweise hat dieses Phänomen aufgrund des Klimawandels seit dem Jahr 2000 zugenommen", sagt Dieter Piepenburg, Meeresbiologe am Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven. Im Flachwasserbereich könne die Temperatur während eines solchen Ereignisses kurzfristig um mehrere Grad ansteigen. "Die Folge ist ein Massensterben speziell der Bodenorganismen in der betroffenen Region", sagt Piepenburg. Muscheln, Würmer, Schnecken und andere wirbellose Tiere kollabieren, weil sie die hohen Temperaturen nicht mehr verkraften.

Unabhängig von solchen Extremereignissen hat sich das Oberflächenwasser der Weltmeere nach Angaben der Umweltschutzorganisation Greenpeace seit 1955 im Schnitt um 0,6 Grad Celsius erwärmt. "Der Temperaturanstieg wirkt sich auf alle Lebewesen in den Ozeanen aus", sagt Meeresökologe Julian Gutt vom AWI, der am kürzlich erschienenen Bericht des Weltbiodiversitätsrats zum globalen Artensterben beteiligt war. Salopp gesagt gerät jeder Fisch ins Schwitzen - wobei wechselwarme Tiere nicht im Wortsinn schwitzen können. "Aber die höhere Temperatur beschleunigt den Stoffwechsel aller Lebewesen", sagt Gutt. Das kostet Energie, die den Tieren möglicherweise anderswo fehlt. Bei der Vermehrung zum Beispiel, was zur Folge hätte, dass Bestände zurückgehen.

Tiere, die sich bewegen können, weichen den steigenden Temperaturen aus und wandern nach Norden. Dem Kabeljau beispielsweise ist es an der südlichen Nordseeküste schon jetzt zu warm, dafür wird der gefräßige Fisch neuerdings immer öfter in Spitzbergen gesichtet, wo es ihm früher zu kalt war. Wärmeliebende Arten wie die Rote Meerbarbe sind dafür in die Nordsee eingewandert. Insgesamt gehe die Artenvielfalt aber zurück, sagt Gutt: "Die nachkommenden Spezies kompensieren die abwandernden nicht."

Derartige Wanderungen und Verschiebungen aufgrund veränderter Umweltbedingungen hat es zwar schon immer gegeben, sowohl im Wasser als auch auf dem Land. "Neu ist aber die Geschwindigkeit, in der die Veränderungen vor sich gehen", sagt Gutt. Das Klima erwärmt sich derart schnell, dass viele Spezies nicht Schritt halten können. Korallen in der Nähe des Äquators zum Beispiel könnten sich während der beweglichen Phasen im Lebenszyklus theoretisch nach Norden und Süden in kühlere Regionen retten. Doch sie brauchen flaches Wasser und müssten sich mühsam von Insel zu Insel hangeln. Der Klimawandel wäre wahrscheinlich schneller. Nach Einschätzung des Weltbiodiversitätsrats, verschwinden 99 Prozent dieser Tiere, wenn sich das Klima um zwei Grad Celsius erwärmt.

Wenn das Eis schmilzt, stirbt der Krill. Die Wale finden dann nichts mehr zu fressen

Keine Chance, vor den steigenden Temperaturen wegzulaufen oder wegzuschwimmen haben Tiere, die schon jetzt in den kältesten Regionen der Erde an den Polen leben. Wohin sollen sie ausweichen? "Für Tiere wie die Eisbären wird es besonders kritisch", sagt Gutt. "Sie laufen gegen eine Wand." Das gilt auch für die Allerkleinsten, den Krill in der Antarktis zum Beispiel. Die kleinen Krebstierchen leben unter dem Eis, wo sie Algen abknabbern, die an der Unterseite der Schollen wachsen. Wenn das Eis schmilzt, findet der Krill nichts mehr zum Fressen und stirbt. Wale, die jedes Jahr Tausende Kilometer aus ihren Paarungsgebieten in den Tropen und Subtropen in die Antarktis kommen, um dort den Krill zu fressen, hätten die weite Reise dann umsonst gemacht.

Weniger bekannt ist, dass der Klimawandel, genauer gesagt der Anstieg der CO₂-Konzentration, die Ozeane auch versauert. Kohlendioxid aus der Atmosphäre löst sich im Meerwasser. Bei dieser chemische Reaktion entsteht Kohlensäure. Das Positive ist, dass dieser Vorgang den Klimawandel bremst, weil er das Treibhausgas Kohlendioxid wieder aus der Atmosphäre entfernt. Etwa ein Drittel des Kohlendioxids, das seit Beginn der Industrialisierung durch menschliche Aktivitäten in die Atmosphäre gelangt ist, haben die Ozeane auf diese Weise aufgenommen. Dadurch ist der durchschnittliche pH-Wert der Meeresoberfläche von 8,2 auf 8,1 gesunken. Dieser winzige Schritt auf der logarithmischen pH-Skala entspricht einem Anstieg des Säuregehalts um 30 Prozent. Das ist das Negative an diesem Vorgang.

Was genau die Versauerung bei den Meeresorganismen bewirkt, ist nicht bekannt. Doch ähnlich wie die Temperatur spielt auch der pH-Wert bei jedem Stoffwechselvorgang eine Rolle. Ein besonders großes Problem durch die Versauerung bekommen aber wahrscheinlich alle Lebewesen mit einem Kalkgehäuse: Flügelschnecken zum Beispiel, winzige Pteropoden, die als Teil des Zooplanktons im Wasser schweben. Es gibt Laborversuche, in denen Kohlendioxid in Aquarien mit Flügelschnecken geleitet wurde. "Es sieht aus, als ob die Tiere rosten", sagt Schrödl, dessen Spezialgebiet Mollusken sind. Die Schalen werden dünner und bekommen Löcher; die kleinen Schnecken sterben. "Wenn der pH-Wert in den Meeren weiter sinkt, wird das überall stattfinden", sagt Schrödl.

Zwar sind die Flügelschnecken nur ein Teil des Zooplanktons und andere Schwebetierchen scheinen weniger empfindlich auf eine Versauerung des Meerwassers zu reagieren. Trotzdem müsste allein die Vorstellung, die kleinen Wesen könnten verschwinden, den Menschen eigentlich schlaflose Nächte bereiten. Das Zooplankton ist schließlich die Basis für alles tierische Leben in den Ozeanen. Es ernährt kleine Fische, die wiederum von größeren Fischen und Seevögeln gefressen werden. Bis zu Walen, Robben und auch Menschen reicht das Nahrungsnetz. Erste Hinweise, dass die Flügelschnecken weniger werden, gibt es schon.

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Quelle:
SZ vom 25.09.2019
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