Süddeutsche Zeitung

Maryam Mirzakhani:Künstlerin der Mathematik

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Mit nur 40 Jahren ist die iranische Mathematikerin Maryam Mirzakhani gestorben. Sie war eine brillante und hartnäckige Forscherin, die in der abstrakten Welt der Geometrie nach Regeln und Schönheit suchte.

Nachruf von Christoph Behrens

Ein Rezept? Das habe sie nicht, verriet Maryam Mirzakhani in einem ihrer seltenen Interviews. Sie fühle sich bei ihrer mathematischen Arbeit eher, als hätte sie sich im Dschungel verlaufen. "Man versucht, alles Wissen das man zusammenkratzen kann mit neuen Tricks zu verbinden, und mit etwas Glück findet man einen Weg heraus."

Der Dschungel Mirzakhanis war die Welt der abstrakten Geometrie, der "Riemannschen Flächen", "Modulräume" und "symplektischen Strukturen". In diesen Urwald der modernen Mathematik wagen sich wenige, viele scheitern. Mirzakhani verlief sich nicht: Als erste und bislang einzige Frau erhielt sie 2014 die Fields-Medaille, die höchste Auszeichnung der Mathematik, die häufig mit dem Nobelpreis verglichen wird. Nun ist Mirzakhanis Wanderung im Alter von nur 40 Jahren zu Ende gegangen. In Kalifornien erlag die Mathematikerin am Samstag einem Krebsleiden, wie die US-Universität Stanford mitteilte.

"Titanische Arbeit" in der Geometrie

An der Elite-Uni hatte Mirzakhani bis zu ihrem Tod gelehrt und geforscht, doch begonnen hatte ihre Karriere im Iran. Maryam Mirzakhani wurde 1977 in Teheran geboren. Sie hatte das Glück, während einer Zeit zur Erwachsenen zu reifen, als der verheerende Krieg zwischen Iran und Irak in den 1980ern vorbei war. Die politische und soziale Situation hatte sich anschließend so weit entspannt, dass Mirzakhani als junge Frau ihr Talent entfalten konnte. 1994 machte sie Furore, als sie als erstes Mädchen in Irans Mannschaft Gold bei der internationalen Mathematik-Olympiade holte. Ein Jahr darauf holte sie zwei weitere Goldmedaillen, mit einer fehlerfreien Leistung während des Wettbewerbs.

Nach ihrem Abschluss an der Sharif Universität in Teheran ging Mirzakhani in die USA. Sie promovierte in Harvard, forschte in Princeton und kam 2008 nach Stanford. In der Mathematik kann es ruppig zugehen, jeder Beweis muss erkämpft und verteidigt werden; doch Weggefährten beschreiben Mirzakhani als kollegial und bescheiden, jemand der Ehrungen nur annimmt in der Hoffnung, sie mögen andere inspirieren.

Mirzakhani hinterlässt einen Ehemann und eine sechsjährige Tochter. Diese, einmal nach der Arbeit ihrer Mutter gefragt, nannte es "Malen". Mirzakhani kritzelte bevorzugt auf riesige Papierblätter, spielte mit Zeichnungen und Formeln herum. Eine künstlerische Ader ist wohl hilfreich, um die geometrischen Ungetüme anzugehen, die Mirzakhani beschäftigten. Sie interessierte sich für die geometrischen Komplexitäten von kurvigen Flächen - von Kugeln, Donut-förmigen Objekten und Formen, die sich in der realen Welt nicht finden, sondern nur mithilfe komplexer Zahlen beschreiben lassen, sogenannte Riemannsche Flächen.

Viele auf diesem Gebiet rechnen brachial drauflos, Mirzakhani suchte nach Einfachheit und Eleganz, nach Regelmäßigkeiten innerhalb der Komplexität. Und sie war hartnäckig: Die Suche nach dem Weg einer Billardkugel über eine polygonale Fläche führte die Iranerin zusammen mit einem Kollegen zu einem 200-seitigen Beweis, den Experten als "titanische Arbeit" lobten. "Ihre Arbeit zu Riemannschen Flächen und ihren Modulräumen überbrückt mehrere mathematische Disziplinen - hyperbolische Geometrie, komplexe Analysis, Topologie, Dynamik - und beeinflusst sie wiederum alle", begründete die Internationale Mathematische Union die Verleihung der Fields-Medaille.

Obwohl ihre Forschung hochtheoretisch war, hat sie praktische Bedeutung für viele Bereiche wie die Physik, die Material- und Ingenieurwissenschaften. Ihre Arbeit ist gegenwärtig wichtig für die Erforschung von Primzahlen und bei der Verschlüsselung von Daten. "Maryam ist viel zu früh gegangen", erklärte Stanford-Präsident Marc Tessier-Lavigne in einer Mitteilung der Universität. "Aber ihr Einfluss wird für Tausende Frauen bestehen bleiben, die sie inspiriert hat, sich der Mathematik und den Naturwissenschaften zu widmen."

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Quelle:
SZ vom 17.07.2017
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