Süddeutsche Zeitung

Klimaforschung:Die Antarktis bebt

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Von Tobias Kühn

Schwache, erdbebenartige Erschütterungen geben offenbar Hinweise auf Schmelzprozesse im Schelfeis der Antarktis. Schelfeis ist Eis, das über die Landmasse hinaus ins Meer ragt. Auf dieser Eisfläche entstehen im Sommer kleine Seen, die mit einem Gemisch aus Eis und Wasser gefüllt sind und die meiste Zeit von einer Eisschicht bedeckt sind. Abends kühlt diese ab und zieht sich zusammen, während sich das Wasser darunter ausdehnt. Dieser Vorgang erzeugt Spannungen und lässt das Eis reißen, was wie ein schwaches Erdbeben gemessen werden kann. Ein Team um den Glaziologen Douglas MacAyeal hat diesen Effekt am Beispiel des McMurdo-Schelfeises in einer Studie im Fachmagazin Annals of Glaciology untersucht.

Die Glaziologen verglichen dafür die seismische Aktivität an einem Ort ohne Seen mit der Aktivität in der Nähe von Seen mit einigen hundert Quadratmeter Fläche. Dabei stellten sie in der seenlosen Region lediglich Erschütterungen menschlichen Ursprungs fest, etwa durch vorbeifahrende Schiffe. In der Nähe von Seen dagegen bebte der Boden immer abends, wenn die Temperatur sank. Als an einem ungewöhnlich kalten Tag die Temperatur gegen Abend stieg statt zu sinken, blieb auch das abendliche Beben aus. So konnte das Forscherteam die brechende Eisschicht als Ursache der Unruhe ausmachen.

Seismische Messungen könnten helfen, den Eisverlust zu beziffern

Das gleiche Phänomen ist auch in gemäßigten Breiten in harten Wintern zu hören. Wenn dort der Boden gefriert, kann das zu unterirdischen Spannungen führen, die sich in einem Knall entladen. In der Antarktis kann dieser Effekt womöglich nützlich sein. Möglicherweise seien die Erdbebenmessungen geeignet, das Abschmelzen von Gletschern zu beobachten ohne vor Ort sein zu müssen, heißt es in einer Pressemitteilung zur Studie.

Anders Levermann, Klimaforscher am Potsdam Institut für Klimafolgenforschung, hält die Arbeit für einen wichtigen Beitrag zu der Erforschung des Antarktis-Eises und dessen Verschwinden. Die Modelle, mit denen Prognosen über das Abschmelzen und -brechen der Gletscher erstellt würden, berücksichtigten meistens nur langfristige und großräumige Prozesse. 95 Prozent des Eisverlusts in der Antarktis würden aber nicht durch Schmelzen verursacht, sondern weil Gletschereis ins Meer rutsche, also durch Bewegung. Deshalb sei es wichtig, Prozesse in kleineren Größenordnungen im Blick zu behalten. Wenn sich das Eis schneller verändere als gedacht, bedeute das wahrscheinlich mehr Bewegung und daher einen größeren Eisverlust als angenommen.

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toku
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