Süddeutsche Zeitung

Unzähmbare Haare:Das Struwwelpeter-Gen

Lesezeit: 1 min

Von Hanno Charisius

Es gibt einen Fachbegriff für extrem schwer kämmbares Haar, Experten sprechen dann vom "Syndrom der unkämmbaren Haare" oder auch "Struwwelpeter-Syndrom". Wahrscheinlich glauben viele Eltern, ihr Kind habe dieses Problem auch, dabei würde wie bei dem Mädchen auf dem Bild bereits etwas Geduld helfen. Doch wenn Forscher von unkämmbaren Haaren sprechen, dann meinen sie eine besonders heftige Form, von der es bislang nur etwa 100 dokumentierte Fälle gibt.

An den klinisch diagnostiziert Unkämmbaren scheitert jeder Kamm, die Betroffenen haben extrem trockene, krause Haare, meist hellblond mit einem typischen Glanz, weswegen im englischen Sprachraum auch von "spun-glass hair" die Rede ist, Haar wie gesponnenes Glas. Das Phänomen tritt zwischen drei Monaten und zwölf Jahren auf, dann verschwindet es wieder. Im Erwachsenenalter lassen sich die Haar meist ganz normal bändigen.

Eine internationale Forschergruppe hat nun die Ursache gefunden: Das wirklich unkämmbare Haar entsteht durch Veränderungen in einem von drei Genen im Erbgut der Betroffenen, berichten die Wissenschaftler im American Journal of Human Genetics. Diese Erbanlagen tragen die Baupläne für Proteine, die am Haarwachstum beteiligt sind. "Diese drei Proteine arbeiten sehr eng zusammen, wenn nur eines ausfällt, verändert sich die Struktur der Haare", sagt Regina Betz vom Institut für Humangenetik der Universität Bonn. Die Spezialistin für seltene erbliche Haarerkrankungen leitete die genetische Untersuchung von insgesamt elf Kindern mit klinisch diagnostiziert wildem Haar, das unter dem Mikroskop keinen runden Querschnitt hat, sondern nieren- oder herzförmig aussieht.

Laborexperimente an Zellen bestätigten den Forschern die Wichtigkeit der Gene für die Haarstruktur. Es gibt auch Mäuse, bei denen eines der Gene defekt ist und deren Fell ebenfalls auffällig aussieht.

Nicht erklären können die Forscher, weshalb die Haare mit zunehmendem Alter zähmbar werden. "Es könnte sein, dass andere Gene, die erst später während des Wachstums mit ihrer Arbeit beginnen, den Verlust einer der anderen Erbanlagen kompensieren", sagt Betz.

Für die Betroffenen ist die Entdeckung der Forscher eine gute Nachricht, auch wenn sie die Haare auch nicht glatter macht. Zwar gehen eine Reihe von schweren Erkrankungen, die erst im Alter ausbrechen, mit Haar-Anomalien einher. Das Struwwelpeter-Syndrom tritt in den meisten Fällen aber alleine auf.

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SZ vom 21.11.2016/SZ
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