Süddeutsche Zeitung

Corona-Pandemie:Grüße vom Neandertaler

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Eine Studie will belegen, dass Erbgutreste des Neandertalers anfälliger für Covid-19 machen. Was steckt dahinter?

Von Kathrin Zinkant

Zeit ist relativ. In der Corona-Krise ist das nicht anders. Während manchen Menschen sechs Monate Seuchenzug schon wie eine Ewigkeit vorkommen mögen, ist ein halbes Jahr für die Forschung eigentlich ein Witz. Nur selten treten in solchen Zeiträumen bedeutende neue Erkenntnisse zutage. Und so kann man froh sein ob der wichtigen Einblicke, die zu dem Virus, zur Übertragbarkeit, zum Krankheitsverlauf und zu möglichen Medikamenten und Impfstoffen gegen Sars-CoV-2 in so kurzer Zeit schon gewonnen wurden.

Doch sie kommen in einem Strom ständig neuer, halbfertiger und eilig vorveröffentlichter Corona-Studien aus allen nur erdenklichen Feldern der Forschung daher. Und in diesen Tagen schwimmt ganz oben auf dem Strom ein Papier, das allein schon wegen eines Autorennamens übergebührliche Aufmerksamkeit erfährt. Svante Pääbo vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig, einer der bekanntesten Paläogenetiker der Welt, berichtet gemeinsam mit seinem Leipziger Kollegen Hugo Zeberg auf dem Preprint-Server bioarXiv.org, dass der "wesentliche genetische Risikofaktor" des Menschen für Covid-19 vom Neandertaler stammt.

Pääbo und Zeberg kommen zu diesem verblüffenden Ergebnis auf der Grundlage von Datensätzen, die sie nicht selbst erhoben, die aber ihrerseits schon größeres Interesse erregt hatten: Im Juni hatte ein internationales Konsortium in gut 770 Covid-19-Patienten aus Spanien und Italien zwei Regionen im menschlichen Genom ausgemacht, die mit einer erhöhten Anfälligkeit für die Erkrankung und mutmaßlich auch mit einem eher schweren Krankheitsverlauf verknüpft - fachlich: "assoziiert" - sein sollen. Weil eine dieser zwei Regionen in einem Abschnitt von Chromosom 9 liegt, der auch die Blutgruppen kodiert, hieß es damals, die Blutgruppe eines Menschen beeinflusse die Schwere einer Infektion mit dem neuen Virus. Diese Schlussfolgerung erntete jedoch deutliche Kritik.

Die Variante ist in Südostasien viel verbreiteter als in Europa

Die Leipziger Paläogenetiker wenden sich in ihrem aktuellen Papier nun der anderen Region im Genom zu, die auf Chromosom 3 liegt und auch von einer anderen Forschergruppe mittlerweile mit Covid-19 in Zusammenhang gebracht wird, wobei diese Ergebnisse noch nicht veröffentlicht wurden. Der Abschnitt umfasst ein halbes Dutzend Gene, die stets gemeinsam vererbt werden. Dabei gibt es offenbar eine Variante, die besonders oft mit schweren Verläufen einer Infektion zusammenhängt. Und wie Pääbo und Zeberg darlegen, findet sich dieser sogenannte Haplotyp - die konkrete Variante in der Abfolge von Genen auf dem besagten Chromosom - auch in den verfügbaren Erbgutsequenzen von Neandertalern. Nicht zu finden sei der Haplotyp dagegen im Erbgut des letzten gemeinsamen Vorfahren von Mensch und Neandertaler, der vor etwa 500 000 Jahren gelebt haben muss.

Das hieße einerseits, was längst bekannt ist: Mensch und Neandertaler haben sich vermischt und gemeinsame Nachkommen gezeugt, deren Erbe sich auch heute noch in der menschlichen DNA findet. Es bedeutet dem Titel der Studie zufolge aber auch, dass die heutigen Träger des beschriebenen Haplotyps durch das Coronavirus besonders gefährdet wären. In Europa haben den Haplotyp laut Pääbo und Zeberg dabei nur acht Prozent der Bevölkerung. In Südostasien sind es jedoch 30 Prozent und in Bangladesch sogar mehr als 60 Prozent. Gerade in Bangladesch müsste die Zahl der Toten also höher sein als anderswo auf der Welt.

Das ist aber nicht der Fall. "Die Studie von Zeberg und Pääbo ist sicherlich interessant, hat aber keine direkten klinischen Auswirkungen", sagt Andre Franke vom Institut für Klinische Molekularbiologie an der Universität Kiel. Die Frage sei eher, warum ausgerechnet dieser Erbgutabschnitt der Neandertaler erhalten blieb - während andere Gene und Genvarianten des letzten Menschenverwandten zum großen Teil wieder aus dem Erbgut des modernen Menschen verschwanden, vermutlich, weil sie nachteilige Eigenschaften vermittelten.

Der beschriebene Zusammenhang könnte auch nur ein Zufallsfund sein

Und zu guter Letzt stellt sich die Frage, ob der Befund von Pääbo und Zeberg überhaupt einer ist. David Curtis vom University College in London, ein Experte für genetische Risikofaktoren, kommentiert auf bioRxiv.org, dass schon die zugrunde liegende Datenerhebung aus Spanien und Italien zweifelhaft sei. Curtis vermutet sogar, dass es sich bei dem Zusammenhang zwischen dem Abschnitt auf Chromosom 3 und einem schweren Krankheitsverlauf um ein Artefakt handeln könnte, um einen Zufallsbefund. Das würde dem Neandertalerpapier die Grundlage entziehen. Ob es in dieser Form eine Chance auf eine ordentliche Veröffentlichung hätte? "Die Arbeit von Zeberg und Pääbo ist meines Erachtens viel zu dünn für eine Publikation; ich kann mir kaum vorstellen, dass die Arbeit in dem vorliegenden Umfang in einem Fachjournal publiziert wird", sagt Jeanette Erdmann von der Universität Lübeck. Die Genetikerin war an der von Pääbo und Zeberg zitierten Studie beteiligt.

Die eigentliche Lehre aus diesem Beispiel dürfte deshalb eine andere sein, eine, die zuletzt immer häufiger zutage trat: Die Vorveröffentlichung halbfertiger Studien auf Preprintservern mag vor der Corona-Krise ein guter Weg gewesen sein, unter Wissenschaftlern über Ideen zu diskutieren. Die große Aufmerksamkeit einer pandemiegebeutelten Bevölkerung zeigt jedoch, dass Preprint-Veröffentlichungen in diesen Zeiten zu ernst genommen werden, um reiner Debattenstoff zu sein.

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