Süddeutsche Zeitung

Corona-Impfung:Lehren aus dem Kinderzimmer

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Die Impfkampagne der Bundesregierung stockt. Und nun? Warum es wenig bringt, Menschen zu beschimpfen, die man von etwas überzeugen will.

Kommentar von Vera Schroeder

Man kennt das aus dem Kinderzimmer: Der Satz "Bitte räum auf!" wird nicht unbedingt überzeugender, je öfter man ihn sagt. Spätestens nach der dritten Aufforderung sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass bald etwas passiert, man könnte sagen: exponentiell.

Ganz ähnlich fühlen sich gerade die Bemühungen um die Impfkampagne der Bundesregierung an. Als Jens Spahn in einer Pressekonferenz am vergangenen Mittwoch seine neue, leicht nach Schnellrestaurant klingende "Aktionswoche" vorstellte, sagte er es gleich dreimal hintereinander: Gegen die vierte Welle helfe nur "Impfen, impfen, impfen!" Also, falls es jemand noch nicht weiß: Man soll sich jetzt bitte impfen lassen.

Es könnte fast ein bisschen lustig sein, wenn es nicht so dringend und traurig wäre. Nach aktuellen Modellierungen sind Impftempo und Impfquote zu gering, um eine Überlastung der Krankenhäuser im Herbst sicher zu verhindern und jene, die (noch) nicht geimpft werden können, gut zu schützen. Trotzdem haben sich bisher viel weniger Menschen impfen lassen, als das Umfragen zufolge angeblich wollen.

An Empathie für die, die er überzeugen will, fehlt es Jens Spahn jedoch völlig

Woran liegt das? Und wieso gelingt es nur so schleppend, die Menschen zu erreichen? Obwohl man mit Aktionen von #ärmelhoch-Uschi Glas bis Tik-Tok-Selfie Sandra, von Belohnungsbratwurst bis Theatergutschein oder Parkplatzimpfungen bei Kik ja durchaus kreativ versucht, sich an verschiedenste Gruppen heranzupirschen?

Ein Teil der Antwort findet sich womöglich wieder im Kinderzimmer. Dem Ort, an dem der Versuch, Menschen, die keinen Bock auf etwas haben, abwechselnd mit sehr unterschiedlichen Methoden zu überzeugen, am exzessivsten praktiziert wird. Erst wird gebeten, ermutigt, diskutiert - dann doch geschimpft, gedroht oder erpresst.

Jeder weiß, wie schnell sich so ein Hin und Her abnutzt. Wenn der Nachwuchs am Ende dennoch kooperiert, liegt es selten an der letzten Beschimpfungsattacke als vielmehr an grundsätzlicher Wertschätzung und Empathie, die in Familien in guten Momenten aufleuchten (und mit der man sich aus dem Meckerkarussell ja auch dauerhaft rausbewegen kann).

An Empathie für die, die er überzeugen will, fehlt es Jens Spahn jedoch völlig. Nachdem in der Pressekonferenz erst Verständnis für die Sorgen mancher Ungeimpfter geflötet wurde und Spahn sie dazu aufrief, "einen Weg mit uns zu gehen", nannte er sie wenige Minuten später "Impfmuffel", die sich "im Zweifel vielleicht auch mal zwei Gedanken machen" sollten - und erklärte sie damit einmal mehr öffentlich für dumm.

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