Klima:Wie viel CO₂ darf Deutschland noch ausstoßen?
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Bei den derzeitigen Emissionen würde das verbliebene Treibhausgas-Budget nur noch wenige Jahre reichen, warnt der Sachverständigenrat für Umweltfragen. Doch die Berechnung ist umstritten.
Von Marlene Weiß
Der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) hat am Mittwoch eine neue Berechnung der Menge an Kohlendioxid (CO₂) veröffentlicht, die Deutschland noch ausstoßen kann, um mit den Pariser Klimazielen im Einklang zu sein. Demnach kommt die aus dem deutschen Klimaschutzgesetz abgeleitete Menge künftiger Emissionen zumindest in die Nähe eines angemessenen Beitrags zur globalen Begrenzung der Temperatur auf 1,75 Grad. Dafür müssten die Ziele im Gesetz allerdings auch eingehalten werden.
Im Jahr 2021 hat der Weltklimarat IPCC seine Schätzung für das verbleibende globale CO₂-Budget je nach Temperaturziel aktualisiert. Auf der Basis der neuen IPCC-Zahlen hat der SRU nun seine bisherige Berechnung aktualisiert. Demnach dürfte Deutschland von 2022 an noch 6,1 Gigatonnen CO₂ ausstoßen, wenn man global anpeilen würde, mit 67 Prozent Wahrscheinlichkeit unterhalb von 1,75 Grad Erwärmung zu bleiben.
Dieses Budget würde bei den aktuellen Emissionen noch für rund neun Jahre reichen. Würde man die Emissionen konstant reduzieren, müsste Deutschland demnach 2040 CO₂-neutral werden. In der alten Berechnung hätte das schon 2038 passieren müssen. Für eine immerhin 50-prozentige Chance auf 1,5 Grad wären jedoch nur noch 3,1 Gigatonnen CO₂ übrig, womit die CO₂-Neutralität statt 2032 schon 2031 erreicht werden müsste.
Globale Budgets auf Staaten umzurechnen, ist kompliziert
Solche Berechnungen, die IPCC-Budgets auf einzelne Staaten umlegen, sind jedoch umstritten; und unklar ist auch, wie das deutsche Klimaschutzgesetz zu diesen Zahlen passt. "Es gibt kein deutsches CO₂-Budget, nur Deutsche, die gerne CO₂ budgetieren", sagt etwa Oliver Geden von der Stiftung Wissenschaft und Politik, Leitautor des aktuellen IPCC-Berichts.
Deutschland hat sich im Rahmen des Pariser Klimaabkommens dazu verpflichtet, den globalen Temperaturanstieg gemeinsam mit den anderen Staaten auf deutlich unter zwei Grad zu begrenzen. Der Weltklimarat gibt in seinen Berichten Budgets für die Gesamtmenge an CO₂ an, die je nach angestrebtem Temperaturziel noch ausgestoßen werden kann. Aber wie man diese Menge auf einzelne Staaten aufteilen sollte, dazu macht weder der IPCC noch das Pariser Abkommen eine konkrete Angabe.
Hinzu kommt, dass sich das deutsche Klimaschutzgesetz auf alle Treibhausgase bezieht, also auch etwa Methan und Lachgas, die besonders in der Landwirtschaft frei werden. Weil diese aber viel kürzer in der Atmosphäre verbleiben als CO₂ - bei Methan sind es im Mittel nur zwölf Jahre - kann es für diese Gase kein Gesamtbudget geben: Was heute an Methan emittiert wird, ist für die Temperatur zum Ende des Jahrhunderts kaum relevant. Das ist bei CO₂ anders.
Der SRU empfiehlt für das Problem der Aufteilung die Lösung, einfach das unmittelbar nach Unterzeichnung des Pariser Vertrags verbliebene CO₂-Budget entsprechend der Bevölkerungszahl auf die Staaten zu verteilen. So kommt der Rat auf ein Budget für Deutschland, von dem man dann die Emissionen der vergangenen Jahre abziehen muss, um das aktuell übrige Budget zu erhalten.
Diese Berechnung ist aber umstritten. So müssten Staaten wie Australien oder die USA nach diesem Prinzip schon in wenigen Jahren CO₂-neutral werden, um deutlich unter zwei Grad zu bleiben, das ist nicht realistisch. Einfacher wäre es für solche Staaten, wenn die aktuellen Emissionen entlastend in die Berechnung einfließen würden, was auch als "Grandfathering" bezeichnet wird. Das lehnt der SRU jedoch als ungerecht ab. "Gut begründbar" seien Ansätze, die die historischen Emissionen und wirtschaftlichen Entwicklungsrechte ärmerer Länder einbeziehen; damit würde das Budget für Industrieländer indes noch weiter schrumpfen.
Die Klimaziele dürften vorerst weiter verfehlt werden
Beim Vergleich mit den deutschen Klimaschutzplänen zitiert der SRU aktuelle Berechnungen des Konzeptwerks Neue Ökonomie und eine Berechnung des Mercator-Klimaforschungsinstituts MCC, an der auch Oliver Geden beteiligt war. Unter diversen Annahmen kann man schätzen, wie groß der CO₂-Anteil an den geplanten Emissionen ist - aktuell sind es fast 90 Prozent, deutlich mehr als im globalen Durchschnitt. Davon muss noch die Menge an CO₂ abgezogen werden, die schätzungsweise in natürlichen Senken wie Wäldern oder Mooren verschwinden könnte. Übrig bleiben je nach Berechnung rund sechs bis sieben Gigatonnen CO₂, die bis 2045 noch emittiert werden dürften. Damit wäre Deutschland im Vergleich zu den SRU-Zahlen annähernd auf einem 1,75-Grad-Pfad.
Auch die Zieljahre passen gut zusammen: In Deutschland ist Klimaneutralität bis 2045 geplant, während der SRU bei einem Temperaturziel von 1,75-Grad auf CO₂-Neutralität bis 2040 kommt. Da Klimaneutralität jedoch bedeutet, dass verbleibende Methan- und Lachgasemissionen kompensiert werden, indem man der Atmosphäre CO₂ entzieht, muss CO₂-Neutralität früher erreicht werden. "Ich würde schätzen, dass CO₂-Neutralität in der EU fünf bis zehn Jahre vor Treibhausgas-Neutralität erreicht wird", sagt Oliver Geden.
Auf die Budget-Berechnungen des SRU hatte sich auch das Bundesverfassungsgericht bezogen, als es im vergangenen Jahr in einem historischen Beschluss entschied, dass die bis dahin gültigen deutschen Klimapläne nicht mit den Grundrechten künftiger Generationen vereinbar seien; daraufhin wurde das Klimaschutzgesetz überarbeitet. Es enthält nun bis 2030 jährliche Ziele für die Emissionen von Industrie, Energiewirtschaft, Verkehr, Gebäuden, Landwirtschaft und sonstigen Verursachern von Treibhausgasen und jährliche Gesamt-Minderungsziele bis 2040. Im Jahr 2021 verfehlten aber der Verkehrs- und der Gebäudesektor ihre Ziele. Klimaminister Robert Habeck (Grüne) hat bereits eingeräumt, dass auch 2022 und 2023 nicht alle Ziele eingehalten werden dürften.