Süddeutsche Zeitung

Nachruf:Ein Herz für die Menschen und die Medizin

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Mit fast 100 Jahren ist der Friedensnobelpreisträger und Kardiologe Bernard Lown gestorben.

Von Werner Bartens

Einen zweiten Nobelpreis hätte Bernard Lown längst verdient gehabt, den für Medizin. Der Friedensnobelpreis wurde ihm 1985 gemeinsam mit dem russischen Kardiologen Jewgeni Tschasow verliehen. 1980, mitten im Kalten Krieg hatten beide die Organisation "International Physicians for the Prevention of Nuclear War" (IPPNW) gegründet, auf Deutsch "Ärzte gegen den Atomkrieg". Ärzte sollten nicht nur Patienten heilen, sondern - pathetisch gesprochen - auch der Welt helfen, heil zu werden. Rudolf Virchow hatte Medizin als "soziale Wissenschaft" bezeichnet und Politik als "nichts weiter als Medizin im Großen". Lown nahm diese Tradition im 20. Jahrhundert auf beeindruckende Weise auf und setzte sich rastlos für Abrüstung, gesellschaftliche Verantwortung und eine menschlichere Medizin ein.

Sein Weg führte den 1921 als Boruchas Lacas in Litauen geborenen Lown, dessen Familie Mitte der 1930er-Jahre in die USA ausgewandert war, an die Ruhmesstätten der US-Medizin. Nach dem Studium an der Johns Hopkins University arbeitete er erst als Arzt an verschiedenen Kliniken und seit 1955 an der Harvard University, zunächst als Assistent, später als Institutsleiter und Professor für Kardiologie.

In seinen Jahren an der Elite-Universität war der Herzexperte äußerst produktiv. Lown beschrieb 1952 eine seltene Form der Rhythmusstörungen. Zudem erkannte er, dass sich mit einem Elektroschock das oft tödliche Kammerflimmern effektiv behandeln und ein plötzlicher Herztod vermeiden lässt. Gemeinsam mit Elektroingenieuren entwickelte er 1961 einen Defibrillator. In den Folgejahren wurden die Geräte zum Implantieren und für den externen Gebrauch verfeinert, darunter jene tragbaren "Defis", auf die überall an zentralen Plätzen hingewiesen wird. Lown verbesserte zudem die Arzneitherapie diverser Herzleiden und Generationen von Medizinstudenten haben die Einteilung der Rhythmusstörungen "nach Lown" gelernt.

Lowns Engagement für Gerechtigkeit und Frieden begann nicht erst, als er bekannter Harvard-Kardiologe war. Schon im Studium setzte er sich dafür ein, dass mehr Schwarze, Frauen und Juden Medizin studieren konnten. Neben seiner Arbeit für den Frieden wurde Lown zunehmend zum Streiter für ein Gesundheitswesen, das sich weniger Technik und Profit, sondern den Patienten verpflichtet fühlt. Sein Buch "Die verlorene Kunst des Heilens" legt davon beeindruckend Zeugnis ab. Es war ein Glück, diesen großen Arzt und Menschenfreund zu erleben. Noch fast neunzigjährig konnte er anlässlich eines Deutschlandbesuchs im warmen John-Wayne-Bass beim Nachmittagskaffee mitreißend vor den Gefahren einer entseelten, ökonomisierten Medizin warnen - und abends ohne Zeichen der Erschöpfung einen Vortrag in freier Rede halten.

Dabei war seine Karriere nicht so geradlinig, wie es rückblickend klingt und mehr als 20 Ehrendoktortitel nahelegen. Nachdem er sich gegen Diskriminierung in der McCarthy-Ära ausgesprochen hatte, wurde er 1954 an eine Militärklinik in Tacoma strafversetzt, musste Flure und Toiletten putzen. "Diese Zeit ruinierte mein Leben ein Jahr lang und verzögerte meine Karriere um ein Jahrzehnt, aber sie machte mich zu einem besseren Arzt", sagte er später darüber. Im Februar, wenige Monate vor seinem 100. Geburtstag, hat Bernard Lowns Herz nahe Boston aufgehört zu schlagen.

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