Süddeutsche Zeitung

Atomsicherheit:Kann ein Endlager dem Klimawandel trotzen?

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Trotz Erdbeben, Vergletscherung und Überschwemmungen: Forscher meinen, es könne einen sicheren Ort für radioaktiven Müll geben. Die Lösung liegt in der Tiefe.

Die Erde bebt, Sturzfluten reißen Ortschaften mit sich, dicke Eisschichten verformen die Welt: Kaum zu glauben, dass es angesichts mächtiger Naturgewalten einen Ort geben soll, an dem 1900 Behälter mit deutschem Atommüll eine Million Jahre lang sicher aufbewahrt werden können. Schon in 1000 Jahren verändert sich der Boden sehr, nicht zuletzt infolge des Klimawandels, sollte man meinen. Kein Wunder also, dass die Endlagersuche erst jüngst einen Dämpfer erfuhr. Ein Standort soll nun doch nicht bis 2031 gefunden sein. Das dürfte aber nicht daran liegen, dass es keine sichere langfristige Lagerstätte geben kann, wenn man Fachleuten zuhört.

Nach dem Standortauswahlgesetz wird ein Ort gesucht, der "Sicherheit für den dauerhaften Schutz von Mensch und Umwelt vor ionisierender Strahlung und sonstigen schädlichen Wirkungen dieser Abfälle für einen Zeitraum von einer Million Jahren gewährleistet". Selbst eine Million Jahre seien aus geologischer Sicht nicht viel, sagt Michael Kühn vom Deutschen Geoforschungszentrum (GFZ). "Schichten, die wir aussuchen werden, liegen schon seit Hunderten Millionen von Jahren unverändert dort - das tun sie sehr wahrscheinlich auch weiter."

In seismisch aktiven Zonen sind Endlager ausgeschlossen

Auch das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) verweist auf das "umfassende Verständnis der geologischen Gesamtsituation und der Entstehung der Gesteine in der Vergangenheit". Das ermögliche, künftige Prozesse einzuschätzen.

Zwar gibt es in Deutschland Erdbeben, aber die sind weder sehr häufig noch sehr stark. Sie seien jedoch ein wichtiger Hinweis auf Risse im Gestein. "Wir können sicher sagen, wo es entsprechend instabile Zonen gibt", sagt der Professor. "Wir können auch Erdbeben messen, die wir nicht spüren." Sollten sich künftig aus Rissen aktive Zonen bilden, würde man das ziemlich sicher heute schon erkennen, erklärt er.

Regionen, die seismisch aktiv sind oder zum Beispiel in der Nähe zu vulkanischen Aktivitäten liegen, sind ohnehin ausgeschlossen, wie Horst Geckeis vom Institut für Nukleare Entsorgung am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) erklärt. Wiederum seien Tonformationen, die man in der Schweiz für ein Endlager ausgewählt hat, rund 175 Millionen Jahre alt, Salzlagerstätten in Deutschland etwa 250 Millionen Jahre. "Innerhalb eines Zeitraums von 1000 Jahren sind für Formationen, die als für die Endlagerung als günstig bewertet werden, allenfalls geringfügige Veränderungen zu erwarten."

Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) verdeutlicht: Per Gesetz ausgeschlossen seien Gebiete, in denen etwa eine großräumige Hebung von mehr als einem Millimeter pro Jahr binnen einer Million Jahre zu erwarten ist oder in den vergangenen 34 Millionen Jahren Brüche in den Gesteinsschichten der oberen Erdkruste stattgefunden haben. "Aktive Störungszone" nennt man das.

Eine Million Jahre - das entspricht acht bis zehn Eiszeiten

Auch klimatische Veränderungen müssten berücksichtigt werden, räumen die Expertinnen und Experten ein. Weil das Endlager aber Hunderte Meter tief unter der Erdoberfläche liegen soll, werden laut BGR Überschwemmungen und Starkregenereignisse keine Auswirkungen haben. Dagegen, dass während der Einlagerung der Atomabfälle Oberflächenwasser in das Endlager-Bergwerk dringt, würden Vorkehrungen getroffen.

"Was wir beim Klima berücksichtigen müssen, sind Eiszeiten", sagt GFZ-Wissenschaftler Kühn. In einer Million Jahre könne man mit bis zu zehn Eiszeiten rechnen. "Selbst wenn die Klimaerwärmung anhält, werden es vermutlich acht bis neun, in denen wir mächtige Eisschilde bekommen könnten in Deutschland." Hierbei müsse man sogenannte Erosionsrinnen erwarten und berücksichtigen. Grundsätzlich werde die Vereisung so großflächig sein, dass große Gebiete der Bundesrepublik unter der Last gleichmäßig absinken - und beim Tauen wieder angehoben werden. Darauf zurückzuführende Veränderungen im Grundwasser spielten wegen der Tiefe des Endlagers aber keine Rolle.

Dies ist auch relevant mit Blick auf die radioaktive Strahlung. Die Gammastrahlung, die am gefährlichsten ist, wird Kühn zufolge schon von wenigen Metern Gestein abgeschirmt. Alphastrahler hingegen könne man bedenkenlos in die Hand nehmen, sie dürften aber nicht in den Körper gelangen. Wichtige Spaltprodukte wie Cäsium 137 und Strontium 90 mit Halbwertszeiten von rund 30 Jahren seien in 1000 Jahren nahezu vollständig zerfallen, erläutert KIT-Professor Geckeis.

Die Gesamtradioaktivität verringert sich seinen Angaben zufolge etwa um einen Faktor 10 und werde nach 1000 Jahren durch langlebige Radionuklide wie Plutonium und Americium bestimmt. Das BASE erläutert ganz allgemein, dass sich die Strahlung nach 1000 Jahren schon stark verringert haben wird. "Jedoch ist selbst dann aufgrund der hohen Halbwertszeiten einiger Radionuklide der radioaktive Zerfall der eingelagerten Abfälle noch lange nicht abgeschlossen. Die Intensität der Radioaktivität ist zu diesem Zeitpunkt immer noch erheblich."

Formationen aus Tonstein, Steinsalz oder Kristallingestein wie Granit in mehreren Hundert Metern Tiefe und ein Endlagerkonzept aus mehreren Barrieren werden Geckeis zufolge die Langzeit-Sicherheit eines Endlagers gewährleisten. Ein Wechsel der Behälter sei innerhalb einer Million Jahre weder erforderlich noch vorgesehen.

Je nach Konzept sollen dickwandige Stahlbehälter mit 30 bis 40 Zentimetern Wandstärke oder - wie in Skandinavien vorgesehen - solche mit korrosionsresistenten Beschichtungen etwa aus Kupfer genutzt werden. "So wird in Schweizer Sicherheitsbetrachtungen angenommen, dass ein Stahlbehälter in einem Endlager im Tonstein für mindestens 10 000 Jahre intakt bleibt", erklärt Geckeis. Danach eventuell austretende radioaktive Stoffe halte das umgebende Tongestein zurück.

Nach dem Standortauswahlgesetz muss jedoch gewährleistet sein, den Atommüll bis zu 500 Jahre nach dem Verschluss doch noch einmal bergen zu können, wie die BASE erläutert. "Sollte ein solch unerwünschter Fall eintreten, dann könnte es sein, dass die Endlagerbehälter für den weiteren Prozess ein weiteres Mal gewechselt werden müssen."

Die Betreiber der Atomkraftwerke haben für die sichere Verwahrung der Abfälle rund 24 Milliarden Euro bereitgestellt. Nach Verschluss des Lagers, der bisher etwa gegen Ende dieses Jahrhunderts geplant ist, und der Überführung in den sogenannten passiv sicheren Zustand sollten Geckeis zufolge keine weiteren Kosten anfallen.

Ein Faktor lässt sich aus wissenschaftlicher Sicht allerdings schwer kalkulieren, wie GFZ-Forscher Kühn deutlich macht: "Das Unsicherste, was wir haben, ist der Mensch." Was der tut oder welche neuen Überlegungen noch kommen, lasse sich überhaupt nicht vorhersagen.

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