Süddeutsche Zeitung

Wirecard-Skandal:Staatsanwaltschaft stellt Ermittlungen gegen FT-Journalisten ein

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Investigativreporter der "Financial Times" als Erfüllungsgehilfen von Spekulanten? Dieser Verdacht ließ sich nicht erhärten - weitreichende Folgen hatte er dennoch.

Von Jan Willmroth

Es war ein großes Politikum, und es hat die öffentliche Wahrnehmung im Wirecard-Skandal erheblich beeinflusst: Im April 2019 formulierte die Finanzaufsicht Bafin eine bemerkenswerte Strafanzeige und schickte sie zur Staatsanwaltschaft nach München. Wenige Wochen zuvor war in der Financial Times eine Serie von Artikeln erschienen, in denen zwei Reporter über den Verdacht berichteten, bei Wirecard könnten Mitarbeiter in Asien Bilanzen gefälscht haben.

Wirecards Aktienkurs sackte nach den Veröffentlichungen ab, und der Bafin kam das verdächtig vor: Haben da etwa Journalisten gemeinsame Sache mit Hedgefonds gemacht, die auf fallende Kurse gewettet hatten? Das passte genau zu Wirecards Verteidigungsstrategie, der Konzern stellte sich fortwährend als Opfer von Spekulanten dar. Und zwei Reporter standen auf einmal als Beschuldigte da.

Von den Vorwürfen gegen die beiden lasse sich aber nichts beweisen, gab die Staatsanwaltschaft München am Donnerstag bekannt. Die seit eineinhalb Jahren andauernden Ermittlungen wegen Marktmanipulation gegen den FT-Reporter Dan McCrum und eine Kollegin sind eingestellt worden. Es hätten sich "keine hinreichenden Anhaltspunkte (...) feststellen lassen, die die von der Bafin aufgeworfenen Verdachtsmomente hätten stützen können", teilte eine Sprecherin der Ermittlungsbehörde. Die Berichterstattung sei grundsätzlich zutreffend gewesen und "jedenfalls vom Standpunkt der damaligen Informationslage aus weder falsch noch irreführend" - solche Worte hatte Wirecard in Stellungnahmen zur Berichterstattung der FT gewählt. Es gebe auch keine Anhaltspunkte, dass die Beschuldigten "bewusst Inhalt und Zeitpunkt ihrer Berichte Dritten bekannt gegeben hätten".

Aus heutiger Sicht ist klar, dass die Anzeige und das Ermittlungsverfahren Wirecard sehr wahrscheinlich geholfen haben, den mutmaßlichen Bilanzbetrug fortsetzen und weitere Millionenkredite bei Banken und Investoren einwerben zu können.

Nur Vermutungen, keine Anhaltspunkte für einen Tatverdacht

Denn es stand ja infrage, ob da alles mit rechten Dingen zuging bei der weltweit wichtigsten Finanzzeitung. Im Sommer 2019 sah es so aus, als hielten es die deutschen Behörden für wahrscheinlich, in London hätten sich Journalisten mit Aktienhändlern verbündet, um sich zum Schaden eines Dax-Konzerns zu bereichern. Zu dieser Wahrnehmung hatte zuvor auch die Entscheidung der Bafin beigetragen, nach den ersten Enthüllungsgeschichten der FT im Frühjahr 2019 zwei Monate lang europaweit Wetten auf fallende Wirecard-Kurse zu verbieten. Ein solches Leerverkaufsverbot für eine einzelne Aktie hatte die deutsche Aufsicht noch nie verhängt.

Die Bafin hielt an ihrer Strafanzeige gegen die beiden FT-Reporter fest und verwies bei Anfragen stets auf die Staatsanwaltschaft. Bis zuletzt erklärte die Bundesbehörde, sie müsse sogar unverzüglich Anzeige erstatten, wenn Tatsachen vorlägen, die den Verdacht einer Straftat begründeten. Die Strafanzeige enthält allerdings nur pauschale Vermutungen, aus denen sich mit Blick auf die beiden Journalisten kein Ansatz für einen Tatverdacht ableiten lässt. Die investigativen Reporter im April 2019 anzuzeigen, war also eine Ermessensentscheidung mit weitreichenden Folgen.

Mit Blick auf die Verfahrenseinstellung ließ die Bafin am Donnerstag wissen: "Wir haben der Staatsanwaltschaft dazu mitgeteilt, dass wir hiergegen keine Einwände erheben."

Die Financial Times erklärte: "Die unbegründete Strafanzeige hätte niemals von der BaFin eingereicht werden dürfen und hätte von der Münchner Staatsanwaltschaft viel früher fallen gelassen werden sollen. Unsere Reporter haben im öffentlichen Interesse durchweg mutig und verantwortungsbewusst gehandelt."

Wie die Staatsanwaltschaft München außerdem mitteilte, werde gegen die beschuldigten Spekulanten weiter ermittelt. Bei der Financial Times ist man sich inzwischen ziemlich sicher: Die Informationen über bevorstehende Artikel können eigentlich nur auf einem Weg bei den Londoner Aktienhändlern gelandet sein - aus dem Kreise von Wirecard selbst.

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