Süddeutsche Zeitung

Wirecard-Prozess:Die Fassade eines Luftschlosses

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Der frühere Compliance-Chef schildert im Wirecard-Prozess, wie die Vorstände seine Arbeit behinderten.

Von Harald Freiberger

Es fängt schon mal damit an, dass es nicht anfängt. Der Zeuge Daniel S., Ex-Compliance-Chef von Wirecard, hat sich pünktlich um neun Uhr im Verhandlungssaal des Oberlandesgerichts München eingefunden. Jetzt steht er da in blauem Anzug und roten Socken und wartet. Der Streik und die verstopften Straßen in München bringen es mit sich, dass es die Angeklagten und ihre Anwälte nicht rechtzeitig schaffen. Mehr als eine Stunde dauert es, bis sie eintreffen. Es ist ein überraschendes Bild: Markus Braun, der Ex-Wirecard-Chef und Hauptangeklagte, wird von einem Polizeibeamten in Handschellen hereingeführt. Die bisherigen Verhandlungen fanden fast alle in der Justizvollzugsanstalt in Stadelheim statt, wo Braun einsitzt. Dort kam er immer ohne Handschellen.

Die Aussage des früheren Compliance-Chefs S. ist von Brisanz. Schließlich saß er an einer zentralen Stelle bei dem Aschheimer Zahlungsdienstleister, der im Juni 2020 zusammenbrach, weil sich ein angebliches Vermögen von 1,9 Milliarden Euro in Asien als einfach nicht vorhanden herausstellte. S., 40, fing 2013 bei Wirecard in der Rechtsabteilung an, es war sein erster Job als Jurist. Schnell erhielt er wichtigere Aufgaben. 2019 wurde er schließlich damit beauftragt, eine neue Compliance-Abteilung zu leiten. Sie sollte darauf achten, dass der Konzern die Gesetze einhält und sich auch sonst wohl verhält.

S.' Erzählungen geben Einblick in einen Konzern, der offenbar wie ein Luftschloss aufgebaut war. Der Vorstand - voran Chef Markus Braun und der Mann fürs Grobe, Jan Marsalek, der auf der Flucht ist - taten alles, um die Fassade des Luftschlosses nach außen zu wahren. Das hieß auch: Sobald Leute wie S. von der Rechts- und Complianceabteilung Einwände hatten oder irgendwo näher hinschauen wollten, wurden sie behindert. Die Rechtsabteilung sei eine "Beratungsinstitution" innerhalb des Konzerns gewesen, sie habe aber "keine Vetomacht", gehabt, sagt der Ex-Compliance-Chef.

S. wurde öfter von oben eingebremst. "Es war keine Organisation, die auf Kontrollprozesse ausgerichtet war", sagt er. Als es Unstimmigkeiten mit zwei Partnern in Asien gab, übernahm der Compliance-Chef zunächst die Ermittlungen. Er flog nach Singapur und beauftragte eine Rechtsanwaltskanzlei damit, sich den Fall näher anzusehen. Doch später wurde er aus der Untersuchung "herausgenommen". Marsalek übernahm.

Als es 2020 immer enger wurde, beantragte der Aufsichtsrat eine Sonderprüfung der Wirtschaftsgesellschaft KPMG, zusätzlich zur regulären Prüfung der Prüfer von EY. Dies sollte den Konzern entlasten, führte am Ende aber zum Zusammenbruch, weil KPMG das Zwei-Milliarden-Euro-Loch entdeckte. "Unterlagen zu beschaffen, war schwierig, Personen für Termine zu finden, war schwierig und dauerte länger als erwartbar", sagt S.

Dann berichtet er noch von einer skurrilen Reise nach Manila, die er mit den Prüfern absolvierte. Sie sollte dazu dienen, mit dem von Marsalek benannten neuen Treuhänder zu reden. Bei diesem sollten die fehlenden 1,9 Milliarden Euro liegen. Seine Bank bestand lediglich aus drei, vier Schaltern in einer "Dritte-Welt-Straße", wie S. es ausdrückt. Belege für das Geld konnte er den Prüfern nicht geben.

Was bedeutet die Aussage für den Hauptangeklagten Braun? Im Kern geht es um die Frage, ob die erfundenen Geschäfte in Asien allein Sache des flüchtigen Marsalek waren und Braun selbst von all dem - wie er behauptet - nichts wusste. Es gibt bis zum Montagnachmittag zwar keine Aussage von S., die Braun direkt belastet. Wie nervös der ist, zeigt aber allein seine Körpersprache. Er öffnet und schließt immer wieder seinen Mund, als würde er nach Luft schnappen und fasst sich oft an den Bauch. Obwohl er sonst nichts zu tun hat als dazusitzen, wird seine Gesichtsfarbe im Laufe des Tages immer röter. Die Befragung von S. geht an diesem Donnerstag weiter.

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