Süddeutsche Zeitung

Finanzen:Wirecard wird zur Bank

Lesezeit: 3 min

Von Harald Freiberger, München

Wirecard fiel zuletzt vor allem durch Börsenturbulenzen auf. Nun sorgt der Zahlungsdienstleister aus Aschheim bei München mit einer Ankündigung für Aufsehen: Er steigt mit einem eigenen Girokonto groß ins Bankgeschäft ein und macht herkömmlichen Kreditinstituten damit künftig Konkurrenz. Auffällig dabei ist das Kampfangebot von 0,75 Prozent Zinsen für Guthaben auf dem Girokonto.

0,75 Prozent sind in Zeiten von Null- und Negativzinsen konkurrenzlos. Andere Banken verzinsen Guthaben auf Girokonten in der Regel überhaupt nicht, auch für Festgeld oder Tagesgeld gibt es kaum mehr Zählbares. Der Grund ist die Zinspolitik der Europäischen Zentralbank, die den Leitzins bei 0,0 Prozent eingefroren hat und für kurzfristige Einlagen von Banken bei ihr sogar einen Negativzins von 0,5 Prozent verlangt.

Wirecard gibt zu, dass es bei dem Angebot in erster Linie um Marketing geht: "Es ist offensichtlich, dass wir mit dem Guthabenzins von 0,75 Prozent unser Angebot noch attraktiver machen wollen, um die Kundenbasis zu vergrößern", sagt eine Sprecherin. Man wolle auf der App künftig Dienstleistungen integrieren, die auf Daten und künstlicher Intelligenz basierten, das funktioniere vor allem in der Masse gut. Für Wirecard ergebe sich daraus langfristig ein neues Geschäftsmodell. Deshalb sei der Zinssatz von 0,75 Prozent zeitlich nicht begrenzt, "wir möchten dies nachhaltig anbieten".

Die Obergrenze für Guthaben soll im fünfstelligen Bereich liegen.

Das Führen des Girokontos soll zudem kostenlos sein. Geschäftsbanken verlangen dafür meist eine monatliche Grundgebühr. Nur bei rund 40 Instituten, meist Direktbanken, ist es ebenfalls gratis.

"Finanziellen Alltag" leichter machen

Wirecard bietet die neuen Dienste auf seiner Plattform "Boon Planet" an, die bereits vor drei Wochen eingeführt wurde. Mit dem Angebot von 0,75 Prozent geht das Unternehmen noch stärker in die Offensive. Der Service soll zügig ausgeweitet werden: Bald werde es auch eine Kreditfunktion mit einem Dispozins im einstelligen Bereich geben, kündigt die Sprecherin an. Vorgesehen sind außerdem Sparpläne und andere Anlage-Produkte. Ziel sei es, "den kompletten finanziellen Alltag von Konsumenten einfacher zu gestalten".

Wirecard bietet auf Boon Planet auch eine Multibanking-Funktion an, mit der sich verschiedene Konten in einer App verwalten lassen. Zudem sollen darauf nicht nur Bankgeschäfte möglich sein, sondern auch andere Dienstleistungen, zum Beispiel die Versicherung von Produkten oder Mobilitätsdienste wie das Bestellen von Taxi oder Mietwagen. "Wir stellen die Plattform außerdem anderen Unternehmen zur Verfügung", sagt die Sprecherin. Man wolle eine technologische Basis anbieten, auf der sich verschiedene Dienste integrieren lassen. "Der Pioniergedanke ist uns dabei wichtiger als der Konkurrenzgedanke", hieß es weiter.

Die Ziele sind ehrgeizig: Boon Planet wird zunächst in Deutschland eingeführt, bald in Europa, später auf der ganzen Welt. Bis zum Jahr 2025 will Wirecard mit der Plattform "Hunderte Millionen Bankkunden" gewinnen. Über eine Banklizenz verfügt Wirecard schon seit längerer Zeit. Groß wurde das Unternehmen in den vergangenen 20 Jahren mit der Abwicklung von Onlinezahlungen im Hintergrund, also zwischen Händlern und Banken. 2015 führte es Boon ein und wandte sich damit erstmals an Endverbraucher. Boon ist eine App für das Bezahlen per Smartphone im Internet und in Läden, ähnlich wie es der Konkurrent Paypal anbietet. Mit Boon Planet weitet Wirecard seinen Service nun von reinen Zahlungsdiensten auf originäre Bankgeschäfte aus.

Wirecard war zuletzt häufig in den Schlagzeilen, positiv wie negativ. Der Zahlungsdienstleister schrieb an der Börse in den vergangenen Jahren eine Erfolgsgeschichte und verdrängte 2018 die Commerzbank aus dem Dax, dem Index der 30 größten deutschen Aktienwerte. Anfang dieses Jahres berichtete die Financial Times, Wirecard habe in Asien im großen Stil eigene Geschäftsdaten manipuliert; dies führte zu einer beispiellosen Berg- und Talfahrt beim Aktienkurs. Im April entkräftete Wirecard die Vorwürfe erst einmal, gab aber auch Fehler zu.

Die Gerüchte schwelen indes weiter: Als vor vier Wochen die Financial Times weitere Details veröffentlichte, brach der Aktienkurs wieder um 15 Prozent auf 120 Euro ein. Auf die Ankündigung vom Montag reagierten die Anleger auch nicht gerade euphorisch: Der Wirecard-Kurs fiel um 1,7 Prozent auf 120,40 Euro.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4686498
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 19.11.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.