Süddeutsche Zeitung

Weltwirtschaft:Die Euphorie muss leider warten

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Was ist drei Jahre nach Ausbruch der Finanzkrise normal auf dieser Welt? Nichts! Auch die überraschend positiven Daten dürfen nicht darüber hinwegtäuschen: Deutschland und Europa haben ein Wachstumsproblem.

Nikolaus Piper

Deutschland ist die große Überraschung dieser Krise. So bizarr die Politik der christlich-liberalen Koalition in Berlin auch sein mag, die deutsche Wirtschaft hat sich als viel widerstandsfähiger erwiesen, als die meisten Experten erwartet hatten. Die Arbeitslosigkeit sinkt seit Monaten, die Industrieproduktion übersteigt alle Prognosen. Die Exporte sind im Mai um sensationelle 9,2 Prozent gestiegen, überall auf der Welt werden deutsche Maschinen und deutsche Autos gefragt. Dabei haben die Importe nach Deutschland sogar noch stärker zugenommen, was den Vorwurf aus den Vereinigten Staaten ein wenig entkräftet, Deutschland prosperiere auf Kosten anderer. Es ist daher wirklich nicht ganz abwegig, Deutschlands Rolle in der Weltwirtschaft mit der bei der Fußballweltmeisterschaft zu vergleichen.

Zwei Fehler sollte die deutsche Politik jetzt vermeiden: Erstens zu glauben, dieser Erfolg sei selbstverständlich und, zweitens, er lasse sich einfach in die Zukunft fortschreiben. Zum ersten Punkt: Der Erfolg ist ein Lohn früherer Mühen. Die deutsche Wirtschaft erntet jetzt den Ertrag von über einem Jahrzehnt Reformen innerhalb und außerhalb der Betriebe. Die Unternehmen wurden wettbewerbsfähig, weil sie unter zum Teil heftigen Konflikten Kosten gesenkt, Abläufe und Qualität verbessert haben. Jetzt profitieren sie vom hohen Wachstum in China und anderen Schwellenländern, die von der Finanzkrise nur marginal getroffen wurden. Außerdem kommt den Firmen der niedrige Euro-Kurs zugute. Deutsche Produkte sind im Währungsausland um über 15 Prozent billiger als zu Jahresbeginn.

Das Tempo dürfte nicht durchzuhalten sein

Diese günstigen Rahmenbedingungen werden nicht bleiben. Der Internationale Währungsfonds hat gerade seine Wachstumsprognose für das zweite Halbjahr gesenkt, um nicht sehr viel, aber die Korrektur wurde mit der Warnung verbunden, dass sich die Lage schnell und unerwartet verschlechtern könnte. China wird in diesem Jahr die phantastische Wachstumsrate von 10,5 Prozent erreichen, aber dieses Tempo dürfte nicht durchzuhalten sein. Und in den Industrieländern lässt die Wirkung der gigantischen Konjunkturprogramme allmählich nach. Auch das bremst die Weltwirtschaft.

Drei Jahre nach Ausbruch der Finanzkrise ist eben immer noch nichts normal auf der Welt. Die Banken leben von den Billionen Euros und Dollars, mit denen die Europäische Zentralbank und die Federal Reserve in Washington die Weltwirtschaft geflutet haben. Die Staaten sitzen auf gefährlich hohen Schuldenbergen, weil sie 2008 den Absturz in die Depression verhindern mussten. China und Indien wachsen so schnell, dass ihnen eine Überhitzung droht, die Industrieländer dagegen produzieren noch weit unter ihren Kapazitäten. Und trotz der hohen Exporte wird das Wirtschaftswachstum in Deutschland und in der Euro-Zone mit 1,6 und 1,3 Prozent enttäuschend niedrig sein. Auch wenn das Schlimmste der Krise längst vorüber ist, hat die Weltwirtschaft nicht ins Gleichgewicht zurückgefunden. Beunruhigend ist auch, dass der Prozess der globalen Kooperation im Rahmen der zwanzig großen Industrie- und Schwellenländer, der in der heißen Krisenphase 2008 und 2009 so gut funktioniert hat, nun ins Stocken gekommen ist. Der G-20-Gipfel Ende Juni in Toronto hat das gezeigt.

Internationale Zusammenarbeit ist dabei notwendiger denn je. In allen Industrieländern bewegt sich die Politik auf einem gefährlichen und unerprobten Pfad. Die Konsolidierung der Staatsfinanzen muss beginnen, das Spartempo darf aber auch nicht zu hoch sein, um nicht eine neue Rezession auszulösen. Die großen Banken, besonders in Europa, sind weiter hoch belastet, worunter der Kredit für den Rest der Wirtschaft leidet. Deshalb sind die EU-Stresstests für Kreditinstitute, die jetzt veröffentlicht werden sollen, so wichtig. Sie sorgen für Vertrauen und Stabilität.

Die Angst vor der Abwärtsspirale

Besonders ernst ist das Risiko einer Deflation in den Industrieländern zu nehmen. In den USA und in Deutschland nähert sich die Inflationsrate der Marke null, die Zinsen für deutsche Bundesanleihen sind im historischen Vergleich extrem niedrig. Das bedeutet: Die Investoren haben nicht Angst vor der Geldentwertung, sondern vor dem Gegenteil: einer Abwärtsspirale von sinkenden Preisen und niedrigen oder negativen Wachstumsraten. Japan hat dies in den neunziger Jahren durchgemacht und sich von den Folgen bis heute nicht erholt.

Die überraschend guten Zahlen dieses Frühjahrs dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass Deutschland und Europa ein Wachstumsproblem haben. Nur wenn es gelöst wird, wird der Aufschwung nachhaltig sein. Der Weg, über höhere Staatsdefizite Wachstum zu kaufen, ist seit der Krise versperrt. Umso wichtiger wäre es, andere Wachstumsbremsen zu beseitigen.

Dazu würde es zum Beispiel gehören, die Probleme der deutschen Landesbanken schnell zu lösen und den Mut zu einer echten Gesundheitsreform aufzubringen. Es geht eben nicht nur um Sparen, sondern auch um Dynamik. Jeder Prozentpunkt mehr Wachstum erleichtert die Sanierung der öffentlichen Haushalte - jeder Prozentpunkt weniger erhöht deren soziale Kosten.

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Quelle:
SZ vom 09.07.2010
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