Süddeutsche Zeitung

Wege aus der Schuldenkrise:Europa braucht einen Schock!

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Die Zeit des Taktierens geht zu Ende. Europa steht vor der Wahl: zusammenstehen oder untergehen. Vielleicht brauchen die Eliten des Kontinents ihren eigenen Lehman-Schock, um die große Entscheidung zu wagen. Erst mit dem Zusammenbruch der US-Investmentbank begriff die amerikanische Politik 2008, wie tief der Abgrund und wie hoch die Kosten ihrer Untätigkeit gewesen wären.

Catherine Hoffmann

Warum nur, so fragen sich frustrierte Ökonomen und politikverdrossene Unternehmer, warum nur erkennen Europas Politiker nicht den Abgrund, vor dem sie stehen? Warum hinken sie im fünften Jahr der Banken- und Schuldenkrise den Problemen noch immer hinterher? Warum lassen sie sich von den unerbittlichen Märkten ein ums andere Mal vorführen, statt die Euro-Krise endlich zu lösen?

Eine Antwort lautet: Die Regierenden verstehen den Ernst der Lage nicht und vergeuden deshalb unnütz Zeit. Doch das ist nicht zu glauben. Eine andere Erklärung für das Unvermögen der politischen Klasse: Sie verheddert sich in den widerstreitenden Interessen nationaler Wählergruppen, handelt unter dem Diktat von Umfragen und lähmt sich selbst. Darin mag ein wenig Wahrheit liegen. Zu oft opfert die Politik - getrieben von der Masse ihrer Bürger - die langfristige Einsicht kurzfristigen Stimmgewinnen. Das Scheitern der Krisenpolitik lässt sich damit allein aber nicht begründen.

Furcht vor der Öffentlichkeit

Klüger ist eine Antwort, die der einstige Chefökonom des Internationalen Währungsfonds, Raghuram Rajan, gibt: Demnach tun sich Politiker besonders schwer, neue Gefahren einzudämmen, deren Ausmaß nicht benannt ist. Auf das Euro-Debakel trifft dies zweifellos zu. Anfangs schienen die Schwierigkeiten Griechenlands unbedeutend und gut beherrschbar zu sein. Dass das kleine Land ein Sprengsatz für die große Währungsunion werden könnte mit unabsehbaren sozialen, politischen und wirtschaftlichen Kosten, galt nicht als bewiesen. Bis heute ist umstritten, ob der Preis der Rettung Athens, also des Handelns, nicht höher ist als der Preis der Untätigkeit.

Die Krux daran: Wenden Politiker frühzeitig viel Geld dafür auf, drohende Turbulenzen abzuwenden, begreift die Öffentlichkeit womöglich gar nicht das Ausmaß der verhinderten Katastrophe und straft die Politiker ab für die hohen Kosten ihres Feuerwehreinsatzes.

Ob das Kommando überflüssig oder notwendig war, lässt sich nicht erkennen - bevor es nicht zum Schlimmsten gekommen ist. Also gehen politische Entscheidungsträger auf Nummer sicher und tasten sich mit kleinen Schritten - Bankenrettung, Fiskalpakt, Rettungsschirmen - voran. Womöglich bis zum Abgrund.

Auf die Wissenschaft können sich die Regierenden nicht verlassen: In der Krise haben Ökonomen versagt. Seither tobt in den Elfenbeintürmen ein erbitterter Streit, was besser ist für die Zukunft des Euro - retten oder spalten, gemeinsam Schulden machen oder sparen. Es ist eine weltanschauliche Auseinandersetzung wie sie die Politik schon lange scheut, ein Grabenkrieg der Ideologen, in dem behauptet wird: Jedes Problem hat eine beste Lösung. Tatsächlich sind die Zeiten aber vor allem unsicher.

Politische Revolte nötig

Die einen sagen: Die Rettung von Euro-Mitgliedern, die Reformen und Haushaltsdisziplin schleifen lassen, ist illusionär. Ein Austritt aus der Währungsunion würde Griechenland und Portugal helfen, wieder wettbewerbsfähig zu werden. Und die verbliebenen Euro-Länder könnten endlich wieder auf den Pfad der Tugend zurückkehren, ihre Fiskal- und Geldpolitik an Stabilitätskriterien ausrichten. Öffentliche Dauerfürsorge für kranke Staaten dagegen würde zu jahrelangem Siechtum führen, wenn nicht zum Kollaps Europas.

Die anderen waren vor einer Therapie à la Reichskanzler Brüning. Sparpolitik verschärfe die Finanzkrise nur zur Depression. Ohne gemeinsame Hilfen drohe erst Griechenland im Chaos zu versinken. Dann würde ein Welle der Panik auch Spanien und Italien mit sich reißen, die am Ende die ganze Euro-Zone wegspült. Um dieses Schicksal abzuwenden, empfehlen sie: uneingeschränkter Kauf von Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank, gemeinsame Haftung für sämtliche nationalen Schulden, europäische Einlagensicherung und Zwangskapitalisierung von Banken. Die Haushaltsdisziplin kommt später dran.

Leicht kann man sich den Aufschrei gegen ein solches Programm in Deutschland vorstellen: Geldentwertung mit der Druckerpresse! Verständlich, dass Kanzlerin Angela Merkel vor einem solchen Kurs zurückschreckt. Sie hat keine Lust, hochnäsigen spanischen Bankern und reformunwilligen griechischen Politikern im Hau-Ruck-Verfahren gewaltige Summen bereitzustellen. Nur sollte sie dann ehrlich sagen: Die Alternative zum Zahlen ist ein Zerfall der Währungsunion mit gleichfalls unabsehbaren Folgen.

Die Zeit des Taktierens geht zu Ende. Europa steht vor der Wahl: zusammenstehen oder untergehen. Wer die gemeinsame Währung behalten will, muss auch bereit sein zur gemeinsamen Haftung für Risiken. Es müssen ja nicht gleich Euro-Bonds sein, ein Schuldentilgungsfonds, wie ihn der Sachverständigenrat vorgeschlagen hat, würde schon helfen, die Lage kurzfristig zu stabilisieren. Und er könnte langfristig den Weg weisen in eine nachhaltige Euro-Zone, in der die enormen Kosten der Rettung hoffentlich gerechter verteilt werden als heute. Doch dazu ist eine politische Revolte nötig, für die es - noch - keine Mehrheit gibt.

Vielleicht brauchen Europas Eliten ihren eigenen Lehman-Schock, um die große Entscheidung zu wagen. Erst mit dem Zusammenbruch der Investmentbank begriff die amerikanische Politik, wie tief der Abgrund war und wie hoch die Kosten der Untätigkeit sein würden. Der europäische Lehman-Moment könnte näher rücken: ein Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone.

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SZ vom 14.06.2012
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