Süddeutsche Zeitung

Währungen:Der Franken-Schock

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Die Schweizer Notenbank will dem lockeren geldpolitischen Kurs der EZB nicht mehr folgen und gibt den Franken frei. Der Schritt stellt nun nicht nur die Wirtschaft des Landes vor enorme Probleme - er ist auch eine Kapitulation vor den Spätfolgen der Finanzkrise.

Kommentar von Ulrich Schäfer

Es kommt nicht oft vor, dass sich der Wert einer Währung binnen weniger Minuten um 30 Prozent verändert. Und wenn doch, stürzt diese Währung normalerweise ab, weil die Investoren das Vertrauen in ein Land verlieren und in Panik ihr Geld abziehen. So war es in der Asien-Krise, als Thailand, Südkorea oder Indonesien verzweifelt versuchten, den Wechselkurs ihrer Währungen zu verteidigen - und am Ende doch verloren. So war es auch in der Russland-Krise von 1998, und ein wenig auch beim Absturz des Rubel vor wenigen Wochen.

Dass aber eine Währung - wie am Donnerstag der Schweizer Franken - nicht um 30 Prozent abstürzt, sondern binnen weniger Minuten um 30 Prozent an Wert gewinnt, das kommt so gut wie nie vor. Der Franken legte dabei nicht bloß gegenüber dem Euro, sondern fast allen Währungen der Welt zu. Insofern war es ein historischer Moment, den die Finanzmärkte erlebten: kein Flash-Crash, wie es ihn an den vom Computerhandel dominierten Börsen zuletzt immer häufiger gab (und wie ihn Robert Harris in seinem Thriller "Angst" literarisch verarbeitet hat), sondern ein Flash-Boom.

Flash-Boom

Die Anleger reagierten damit auf den dilettantisch eingeleiteten Versuch der Schweizer Notenbank, den Kurs des Franken freizugeben und vom Euro abzukoppeln. Und auch wenn der Franken schon bald nur noch mit rund 15 Prozent im Plus lag, so hat dieses Börsenbeben doch gewaltige Folgen. Es löste - ähnlich wie der Flash-Crash, der in Harris' Roman durch den wildgewordenen Supercomputer eines Genfer Hedgefonds verursacht wurde - vielerorts Angst aus, allen voran in der Schweiz.

Denn die Schweiz ist ja nicht bloß ein großer Finanzplatz, sondern eine der wichtigsten Industrienationen der Welt. Die eidgenössischen Exportunternehmen, darunter so bekannte Namen wie der Siemens-Rivale ABB, die Pharmakonzerne Novartis und Roche oder der Lebensmittelhersteller Nestlé, müssen sich nun sorgen, dass ihre Produkte und Dienstleistungen im Ausland unbezahlbar werden, weil der Franken so teuer ist. Zugleich lebt die Schweiz sehr stark vom (ohnehin schon teuren) Tourismus, den sich nun noch weniger Gäste aus dem Ausland leisten können. Gravierender aber noch ist die Bedeutung des Franken-Schocks für die globalen Finanzmärkte. Denn wenn der Kurs einer Währung derart schnell steigt, dann zeigt dies vor allem eines: dass die Anleger in einer Welt, die voller Unsicherheiten steckt, einen sicheren Zufluchtsort suchen. Sie ziehen ihr Kapital dort ab, wo es zwar Rendite einbringt, diese Rendite aber durch den Kursverfall der Währung wieder aufgefressen wird. Und das betraf zuletzt auch die Euro-Zone: Die Gemeinschaftswährung hat in den letzten neun Monaten gut 16 Prozent an Wert verloren.

Dieser Kursverfall ist durchaus gewollt, die Europäische Zentralbank hat ihn durch ihre seit Jahren extrem lockere Geldpolitik bewusst herbeigeführt. Denn sie will, indem sie deutsche, französische oder italienische Exporte außerhalb des Euro-Raums billiger macht, die Wirtschaft in der Euro-Zone ankurbeln.

Doch der Kursverfall des Euro hat auch ungewollte Folgen. Er veranlasst immer mehr Finanzanleger dazu, ihr Geld zu verlagern, gern in die sichere, diskrete Schweiz. Und diese Entwicklung hat sich noch einmal beschleunigt, seit die EZB plant, nächste Woche den massenhaften Aufkauf von Staatsanleihen zu beschließen, was wiederum dazu führen soll, den Euro noch weiter nach unten zu treiben.

Lange hatte die Schweizer Notenbank sich bemüht, die Folgen dieser Entwicklung abzufedern: So haben die Schweizer Währungshüter vor drei Jahren verkündet, den Franken recht fest an den Euro zu koppeln. Sie haben dessen Kurs mit dem Einsatz von mehreren Hundert Milliarden Franken verteidigt. Nun aber haben sie den Franken wieder freigegeben. Dies heißt auch: Die Schweizer Notenbanker wollen dem lockeren geldpolitischen Kurs ihrer Kollegen bei der EZB nicht mehr folgen. Sie haben dies beschlossen, ohne die Finanzmärkte darauf vorzubereiten - dies erklärt die heftige Reaktion.

Die Schweizer Notenbank kapituliert damit aber nicht nur vor der Europäischen Zentralbank, sondern auch vor den Spätfolgen der Finanzkrise, zu deren Entstehen auch Schweizer Banken mit beigetragen haben. Denn was die EZB mit ihrer lockeren Geldpolitik betreibt, ist ja kein Selbstzweck, sondern es ist eine Reaktion auf all jene Verwerfungen, die der Lehman-Crash im Herbst 2008 ausgelöst hat und die mit dazu beigetragen haben, Europas Wirtschaft zu schwächen. Die Schweizer Notenbank hat der Geschichte der Finanzkrise und ihrer Folgen nun ein weiteres Kapitel hinzugefügt.

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Quelle:
SZ vom 16.01.2015
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