Süddeutsche Zeitung

Volkswagen:Diess will mehr Tempo, aber keine Revolution

Lesezeit: 3 min

Von Max Hägler, Wolfsburg, und Jan Schmidbauer

Es ist der vielleicht bedeutendste Tag in der Karriere von Herbert Diess, doch dem Automanager ist nichts anzumerken. Kerzengerade steht er auf der Bühne und lächelt ein bisschen verkniffen, höchstens einen Tick angestrengter als sonst. Auch draußen läuft der Laden ziemlich normal. In der Fabrik rattern die Bänder der Vormittagsschicht, am Tor Sandkamp wäscht einer die Felgen seines roten Beetle.

Immerhin: Der Ort, den Herbert Diess für seine erste Rede als VW-Chef gewählt hat, signalisiert eine Veränderung. Ins Wolfsburger Markenhochhaus hat der Autohersteller geladen, diesen Klinkerbau, der über viele Jahre das Machtzentrum des Konzerns war, weil von hier aus die alten Patriarchen Ferdinand Piëch und Martin Winterkorn die Fäden zogen. Diess' Vorgänger Matthias Müller war mit seinen Leuten in ein kleines Nebengebäude gezogen. Mehr Verantwortung für die Einheiten, die Marken, das war Müllers Idee. Sein Nachfolger macht es nun also wieder so wie früher.

Es ist Tag eins, nachdem der Wolfsburger Konzern den wohl größten Umbau seiner jüngeren Geschichte angekündigt hat. Ein Umbau, der sich in der Struktur dieses Riesenunternehmens bemerkbar machen wird, aber auch beim Personal. Für viele ist es ein Schritt, der längst überfällig war. Es war aber wohl erst die Dieselkrise, die diesen Wandel so richtig ins Rollen gebracht hat.

Auf diese Krise, die sie in Wolfsburg gerne "Thematik" nennen, geht Diess nicht explizit ein, er deutet das Thema höchstens an. Er wolle aus Volkswagen einen nachhaltigen Konzern machen, sagt er, einen Konzern mit Integrität. Einen kompletten Bruch mit dem Vergangenen will er nach eigener Aussage nicht. "Es gibt keinen Grund am eingeschlagenen Kurs zu zweifeln", sagt Diess. Was einerseits als Lob für die Arbeit seines Vorgängers verstanden werden kann und andererseits als Botschaft an die Mitarbeiter: Mit mir wird es keine Revolution geben, sondern eher Altbewährtes.

Wobei Diess durchaus die Möglichkeit hätte, einiges zu verändern. Er wird mit deutlich mehr Macht ausgestattet sein als sein Vorgänger. Diess soll sowohl den Konzern, als auch die Marke VW führen, das Herz dieses Unternehmens mit 640 000 Mitarbeitern. Er ist damit der neue starke Mann in Wolfsburg, bei ihm wird viel Macht gebündelt sein, so ähnlich wie das früher auch bei Martin Winterkorn der Fall war. Mit Gunnar Kilian, einem engen Vertrauten von Betriebsratschef Osterloh, bekommt VW dazu einen neuen Personalchef, Porsche-Boss Oliver Blume rückt ebenfalls in den Vorstand auf. Einkaufschef Francisco Garcia Sanz muss dagegen gehen.

Ebenso tiefgreifend wie der Wechsel beim Personal ist der Umbau in den Strukturen. VW soll in mehrere Markengruppen sowie die Abteilung "Region China" unterteilt werden. Nach dem Willen des Aufsichtsrats soll das Unternehmen dadurch übersichtlicher sein, besser steuerbar.

Widerstand vom Betriebsrat muss Diess nicht fürchten

Diess sieht VW bereits auf dem richtigen Weg. Der Wandel vom großen, aber schwerfälligen Autohersteller zum Mobilitätskonzern sei mit der "Strategie 2025" bereits eingeleitet. VW will nicht mehr nur Autos bauen, sondern auch Lösungen zum autonomen Fahren entwickeln, innovativer sein - und damit verhindern, dass die Teslas und Ubers dieser Welt den Wolfsburgern enteilen. Dass die bisherigen Anstrengungen dafür noch nicht reichen, will Diess aber auch nicht unerwähnt lassen. Er wolle "das Tempo nochmals deutlich erhöhen."

Und es würde nicht überraschen, wenn er diese Ankündigung wahrmacht. Diess gilt als harter Sanierer, der Kosten drücken und Gewinne steigern kann - das hat er schon bei seinem vorherigen Arbeitgeber BMW bewiesen. Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch spricht diese Eigenschaft in seiner Rede ebenfalls an. Diess sei der "präsdestinierte" Kandidat für das Amt des Vorstandsvorsitzenden. Er habe "eindrucksvoll bewiesen mit welchem Tempo und mit welcher Konsequenz er tiefgreifende Transformationsprozesse umsetzen kann".

Was dies in der Praxis bedeuten wird, dürfte auch für die vielen Mitarbeiter des Konzerns interessant werden. An die Belegschaft hatte sich Diess schon im Vorfeld mit einem Brief gewandt. VW, schreibt er darin, sei "die berufliche Heimat, die ich mir immer gewünscht habe". Widerstand des mächtigen Betriebsrats muss er bei seinen Plänen wohl vorerst nicht fürchten. Dessen Vorsitzender Osterloh erklärte in einem Brief an die Beschäftigten, der Führungsumbau habe die "volle Unterstützung" der Arbeitnehmerseite. Zwar räumte er ein, dass es zwischen Betriebsrat und Diess bei der Umsetzung des Zukunftspaktes Auseinandersetzungen gegeben habe. Doch dieser Streit sei "längst ausgeräumt".

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