Süddeutsche Zeitung

Versicherungen:"Hey! Ich bin Maya"

Lesezeit: 3 min

Der Start-up-Versicherer Lemonade kommt nach Deutschland. Keine Makler, wenig Personal und einfache Bedingungen. Aber mit "mein Hund hat das gegessen" kommen Kunden nicht durch.

Von Herbert Fromme, Köln

"Hey! Ich bin Maya", teilt eine junge Frau auf der Webseite des Digitalversicherers Lemonade mit. "Ich gebe dir super schnell einen duften Preis. Bist du bereit?" Adresse, Alter, Quadratmeterzahl werden abgefragt. Weniger als eine Minute später leuchtet das Preisschild auf der Webseite auf: 8,59 Euro soll die Haftpflicht- und Hausratversicherung für 100 Quadratmeter im Monat kosten, monatlich kündbar.

Bei der Übersetzung hat Lemonade wohl etwas gespart. Wer junge Menschen versichern will, liegt mit "dufter Preis" für das englische "awesome price" etwa 50 Jahre daneben. Aber sonst ist der seit Dienstag freigeschaltete deutsche Auftritt des US-Start-ups beeindruckend. Mithilfe von künstlicher Intelligenz beurteilt Lemonade blitzschnell die Risikosituation ebenso wie Schadenmeldungen. Keine Vertreter, keine Makler, wenig Angestellte, eine persönliche digitale Ansprache.

Star unter den Versicherungs-Neugründungen

Besonders stolz ist Unternehmenschef Daniel Schreiber auf die Versicherungsbedingungen. "Police 2.0" nennt er sie. Anstatt der sonst mehr als 40 Seiten seien es jetzt vier. "Die Police ist ein kurzes und leicht verständliches Dokument für normale Menschen und nicht für Anwälte", sagt Schreiber der SZ. Sie beschreibt in einfachen Worten, was versichert ist, und was nicht. "Mein Hund hat das gegessen" oder "Ich habe Schimmel auf dem Sofa entdeckt": Das sind Schäden, die Lemonade ausdrücklich nicht absichert - so steht es wörtlich in dem Vertrag. Aber alles, was Feuer, Rauch, Einbruch, Raub, Vandalismus, Sturm, Hagel und Wasserschäden anrichten, ist abgedeckt, ebenso wie Schäden, die der Kunde bei Dritten zu verantworten hat.

Lemonade ist der Star unter den Versicherungs-Neugründungen der vergangenen Jahre. Investoren beteiligten sich bislang mit 480 Millionen Dollar (424 Millionen Euro). Die jüngste Finanzierungsrunde über 300 Millionen Dollar führten der japanische Telekommunikationskonzern Softbank und Google an. Inzwischen wird über einen Börsengang spekuliert - dazu sagt Schreiber nichts. Die Gesellschaft soll zwei Milliarden Dollar wert sein.

Die Ankunft von Lemonade wird die Konkurrenz im deutschen Versicherungsmarkt weiter anheizen, vor allem um junge, digitale Kunden. Konzerne wie Allianz, Axa, Ergo oder Signal Iduna werben intensiv um diese Zielgruppe, aber auch Portale wie Check 24 und Start-ups sind aktiv. Das Start-up Getsafe - Risikoträger ist die Munich Re - behauptet, bei den Erstkäufern von Versicherungen die Nummer eins im Markt zu sein.

Daniel Schreiber und Shai Wininger, die in den USA und Israel leben, haben ihre Gesellschaft 2015 gegründet. Beide haben viel Erfahrung mit Start-ups aus anderen Branchen. Seit Herbst 2016 ist Lemonade aktiv - Technik und Entwicklung sitzen in Tel Aviv, die operative Leitung in New York. Inzwischen hat Lemonade 500 000 Kunden in den USA. Der Verlust verringert sich von Quartal zu Quartal.

Einen Teil der Einnahmen will der Versicherer spenden

Das Unternehmen verspricht eine neue Form der Versicherung. Es kassiert 25 Prozent der Prämieneinnahmen für Verwaltung, Werbung und Gewinn. Wenn vom Rest nach Abzug der Rückversicherungskosten und der Schäden etwas übrig bleibt, geht das an eine gemeinnützige Organisation, die der Kunde selbst auswählt.

In den USA zahlte Lemonade 2018 bescheidene 143 000 Dollar aus, aber die Summe wächst. Der Versicherer wirbt damit, dass die Firma keinerlei finanzielles Interesse daran hat, Schäden nicht zu zahlen. Schließlich erhält die Gesellschaft einen festen Prozentsatz - wenn ein Kunde betrügt, leiden die anderen, die mehr zahlen müssen, und der gute Zweck.

Mit der internationalen Expansion will Lemonade seine hohen Investitionen in die technische Entwicklung gleich auf mehreren Märkten nutzen. "Unser erster Markt ist Deutschland." Großbritannien war auch im Gespräch, sagt der britische Staatsbürger Schreiber. Aber da kam der Brexit dazwischen.

Lemonade leitet das deutsche Geschäft von seinem Amsterdamer Büro aus, das jetzt vier Mitarbeiter hat. Die Europatochter hat eine Lizenz der niederländischen Zentralbank und kann in allen EU-Ländern Versicherungen anbieten. Entwicklungshilfe leistet der Versicherungskonzern Axa - wie die Allianz seit Langem Aktionär bei Lemonade. Die Axa agiert als Rückversicherer, übernimmt also einen Teil der Prämien und der Schäden. Außerdem berät die Gesellschaft die Neuankömmlinge.

"Wir sind in den USA auch in Texas und in Kalifornien tätig. In beiden Staaten haben wir keinen einzigen Angestellten"

Der US-Markt und Europa sind zwar sehr verschieden. Nach Ansicht Schreibers schafft Lemonade den Sprung über den Atlantik aber aus zwei Gründen: "Erstens sind die jungen Verbraucher sich heute auf globaler Basis sehr ähnlich", sagt er. "Ob sie in Berlin, San Francisco oder Beijing wohnen, sie hören Musik mit Spotify, nutzen Airbnb und Netflix." Lemonade mit seinem digitalen Abschluss und der automatischen Schadenbearbeitung passe sehr gut zu dieser Kundengruppe.

Zweitens habe es Lemonade geschafft, mit wenig Personal und viel IT eine intelligente Infrastruktur aufzubauen. "Wir sind in den USA auch in Texas und in Kalifornien tätig", sagt er. "In beiden Staaten haben wir keinen einzigen Angestellten."

Aber heißt das nicht, dass es bei Schäden zu Problemen und Beschwerden der Kunden kommt? "Wir sind bei der Schadenbearbeitung sehr gut, und unsere Kunden sagen das auch immer wieder in allen möglichen Beurteilungen", antwortet Schreiber. Schäden können nur digital und mit Video eingereicht werden, auf dem der Kunde den Schaden beschreibt. Das soll den Betrug reduzieren.

Ein Drittel der Schäden wird vollautomatisch abgewickelt. Aber auch die übrigen, bei denen Menschen beteiligt sind, würden sehr rasch erledigt. "Für den kleinen Prozentsatz der Schäden, bei denen wir jemanden vor Ort haben müssen, nutzen wir ein Netzwerk von Sachverständigen." So habe Lemonade auch die großen Schäden aus den Waldbränden in Kalifornien bearbeitet.

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Quelle:
SZ vom 12.06.2019
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