Süddeutsche Zeitung

Versicherungen:"Besonders anfällig"

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Die guten Zeiten für Versicherer könnten zu Ende gehen. Nach 15 Jahren eines finanziellen Höhenflugs drohen nun düstere Aussichten.

Von Herbert Fromme, Köln

Finanzkrise, Schuldenkrise, Niedrigzinsen - die schweren Belastungen des globalen Finanzsystems in den vergangenen zehn Jahren haben die Banken bis ins Mark getroffen. Die Versicherer stehen dagegen vergleichsweise gut da. Es gab keine Zusammenbrüche, die Gewinne steigen. Die Banken reduzieren die Dividenden oder streichen sie ganz, wie Deutschlands größtes Geldhaus Deutsche Bank. Allianz, Munich Re und viele Konkurrenten erhöhen die Ausschüttungen.

Doch mit dem fast 15 Jahre andauernden finanziellen Höhenflug der Versicherungswirtschaft dürfte es bald vorbei sein, erwartet die US-Ratingagentur A.M. Best. Sie ist in Deutschland nicht sehr bekannt, aber auf internationalem Parkett zählt sie zu den einflussreichsten Analysehäusern für Versicherer. Entsprechend ernst nehmen die Unternehmenschefs, Anleger und Aufsichtsbehörden ihre Analysen.

Die größte Befürchtung von A.M. Best: Globalisierung und Digitalisierung sorgen für komplexe Zusammenhänge zwischen Risiken, die viele Versicherer nicht immer genau kennen. Sie müssen bei Großereignissen mehr zahlen als eigentlich erwartet.

Als im chinesischen Hafen Tjianjin 2015 eine Explosion chemischer Stoffe in einem Lager einen Großbrand auslöste, kostete das die Versicherungswirtschaft mehr als drei Milliarden Euro. Viele Versicherer waren überrascht, wie die Katastrophe im fernen China plötzlich zum Produktionsstillstand bei deutschen Firmen führte und sie für den Ausfall zahlen mussten, weil Teile von Zulieferern fehlten.

Besonders große Sorgen machen sie sich über die möglichen Auswirkungen von Pandemien, dem gleichzeitigen Auftreten von Epidemien in mehreren Ländern. "Das könnte eine Haftungskatastrophe für die Versicherer auslösen, wird aber oft unterschätzt", warnen sie. Eine Pandemie könne weit schwerwiegender sein für Versicherer und Rückversicherer als ein Hurrikan. Erstens müssen Lebens- und Krankenversicherer hohe Summen für Todesfälle und medizinische Behandlungen zahlen. Zweitens wird oft die gesamte Wirtschaft in Mitleidenschaft gezogen. Als Hongkong 2003 die Hühnergrippe-Epidemie erlebte, ging danach das Bruttosozialprodukt um 2,6 Prozent zurück. Diese Entwicklung trifft die Erträge der Versicherer aus Kapitalanlagen - zusätzlich zu den Schadenzahlungen.

A.M. Best sieht allerdings auch Chancen: Wenn Versicherer bessere Risikomodelle entwickeln und Zuversicht in den medizinischen Fortschritt haben, könnten sie mit Versicherungen gegen Pandemieschäden gutes Geld verdienen.

Der Zinsverfall war bei deutschen Staatsanleihen besonders scharf

Auch die Zinsentwicklung steht ganz oben auf der Problemliste. Noch länger dauernde Niedrigzinsen sind von Übel, plötzlich stark steigende Zinsen aber auch. Denn die Versicherer haben Milliarden in niedrig verzinsten, sehr lange laufenden Staatsanleihen angelegt. Sie würden durch einen Zinsanstieg plötzlich viel weniger Wert, die Gesellschaften müssten mit hohen Abschreibungen fertig werden.

"Deutsche Lebensversicherer sind besonders anfällig, denn hohe Zinsgarantien sind dort üblich, und der Zinsverfall war bei deutschen Staatsanleihen besonders scharf", schreibt die Agentur. Möglicherweise kündigen Kunden ihre Verträge, weil es woanders höhere Zinsen gibt.

"Die Gewinne werden sinken", glauben die Experten von A.M. Best. Schon bald wird sich die Spreu vom Weizen trennen. Versicherer, die in jüngster Zeit aggressiv gewachsen sind, haben das meistens auf Kosten der Solidität getan, glauben die Experten. Rivalen mit besonnenem Wachstum, einer guten Marke und hohen Investitionen in die Digitalisierung werden gewinnen.

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Quelle:
SZ vom 20.12.2016
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