Süddeutsche Zeitung

Versicherungen:Bedrohte Neubauten

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Versicherer klagen, dass in Überschwemmungsgebieten nach wie vor zu viele Häuser gebaut werden. Eine Flut-Pflichtversicherung halten sie für keine gute Lösung.

Von Herbert Fromme und Kendra Dana Roth, Köln

Immer noch wird zu häufig auf Grundstücken gebaut, die extrem hochwassergefährdet sind: In den vergangenen 23 Jahren wurden in Deutschland 2,7 Millionen neue Wohnhäuser errichtet, davon immerhin 32 000 in sehr risikoreichen Gebieten. Das hat der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) errechnet. Insgesamt stehen in Deutschland 338 000 Wohngebäude in hoch gefährdeten Gebieten. "Wir sind der Meinung, dass in Überschwemmungsgebieten grundsätzlich nicht neu gebaut werden sollte", sagt GDV-Hauptgeschäftsführer Jörg Asmussen.

Der Branchenverband verlangt nun, dass das Konzept "klimaangepasstes Bauen" in die Baugesetzgebung aufgenommen wird. Prävention und Klimaanpassung seien wichtig, damit Schäden durch Naturgefahren und damit Versicherungsprämien finanziell nicht aus dem Ruder laufen. Denn der Klimawandel sorgt für enorme Herausforderungen für die Branche: Katastrophen werden teurer, auch deshalb, weil viele Häuser in gefährdeten Gebieten entstehen. Ein Beispiel ist Florida, wo Immobilienkonzerne und Hotels trotz Hurrikangefahr ein Hochhaus nach dem anderen direkt an die Küste setzen. Aber auch die deutsche Lust am Bauen in Hochwassergebieten führt zu Problemen.

"Beim Schutz gegen Elementarschäden ist vieles eine Frage der Sensibilisierung", glaubt Versicherungsexperte Reiner Will, Chef der Ratingagentur Assekurata. Den Menschen sei nicht bewusst, dass das Risiko sehr real und aktuell ist. Da ist er sich einig mit der EU-Versicherungsaufsicht Eiopa. "Menschen neigen zu der Ansicht, dass der Klimawandel eher langfristige und keine kurzfristigen Folgen für sie hat", schreibt die Behörde in einer aktuellen Untersuchung zum Umgang der Versicherer mit dem Klimawandel.

"Ihr Haus ist für viele Menschen der wertvollste Besitz"

Experte Will ist dafür selbst das beste Beispiel: Er wohnt mit seiner Familie direkt am Rhein. Und er hat eine Elementarschadendeckung in seiner Gebäudeversicherung. "Aber beim Hausrat hatten wir sie nicht", berichtet Will. "Erst nach der Ahr-Katastrophe haben wir in die Bedingungen geschaut." Inzwischen habe er das korrigiert.

Will ist dafür, dass die Versicherer ihre Kunden auf andere Weise informieren. "Ihr Haus ist für viele Menschen der wertvollste Besitz", erklärt er. "Vielen ist aber nicht klar, welche Auswirkungen der Klimawandel auf diesen Besitz hat." Dieser Mangel an Risikobewusstsein sorgt dafür, dass mögliche Vorsorgemaßnahmen nicht ergriffen werden. "Es gibt Beton, der besonders wasserfest ist, sichere Türen oder Abflusssysteme, die bei Starkregen und Hochwasser das Wasser nicht hereinlassen."

Allerdings stellt sich für die Versicherer dann die Frage, wie sie solche Faktoren berücksichtigen. Denn eigentlich müssten sie die Prämien für Hausbesitzer mit Vorsorgemaßnahmen senken, doch ist das angesichts weitgehend standardisierter Verträge nicht einfach. Assekurata-Chef Will glaubt, dass die Gesellschaften auch bei Hausratspolicen auf sogenannte Opt-out-Modelle beim Elementarschutz umstellen sollten. "Gebäude- und Hausratdeckungen sind oft nicht im Einklang." Viel weniger Menschen hätten ihren Hausrat gegen Elementarschäden versichert als ihr Gebäude. Bei Options- oder Opt-out-Policen ist die Elementarschaden-Versicherung Standard, kann vom Kunden aber abgewählt werden.

2021 war das teuerste Naturkatastrophen-Jahr seit Beginn der Statistik

Dagegen ist Will kein Freund der aktuell diskutierten Flut-Pflichtversicherung, er bevorzugt die Opt-out-Lösung. "Das ist sinnvoll, schließlich gibt es auch Menschen mit einer Wohnung im zehnten Stock eines Hochhauses." Dass Gebäude in gefährdeten Gebieten zum Problem werden können, hat zuletzt die durch Sturm Bernd ausgelöste Flutkatastrophe gezeigt. Sie forderte 2021 in Deutschland mindestens 186 Menschenleben und machte es zum teuersten Naturkatastrophen-Jahr seit Beginn dieser Statistiken Anfang der 1970er-Jahre. Das Schadenvolumen der Versicherer schätzte der GDV auf sieben Milliarden Euro.

Aktuell gibt es in Deutschland bei Elementarschadendeckungen nur eine geringe Versicherungsdichte von rund 50 Prozent, was die Befürworter einer Versicherungspflicht für Elementargefahren als Hauptgrund für ihre Forderung nutzen. Der GDV will sich für eine Anpassung des Bau- und Planungsrechts einsetzen. "Nur durch klimaangepasstes Bauen können die volkswirtschaftlichen Schäden der Zukunft durch Klimaänderungen und Extremwettereignisse verringert werden", glaubt Hauptgeschäftsführer Asmussen.

Ziel soll es sein, alle Wohngebäude in Deutschland gegen die gesamte Naturkatastrophen-Palette zu versichern. Auch bereits abgeschlossene Gebäudeversicherungen würden demnach zu einem bestimmten Termin automatisch auf Elementarschutz erweitert, sofern der Kunde nicht widerspreche.

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