Süddeutsche Zeitung

Verhandlungen mit Griechenland:Her mit dem Kompromiss!

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Der neue griechische Regierungschef Alexis Tsipras muss aufhören, den Helden zu spielen. Es ist dringend nötig, dass sich er und die europäischen Gesprächspartner annähern - so, dass niemand das Gesicht verliert.

Kommentar von Cerstin Gammelin

Wenn es einen Lehrsatz gäbe, nach dem in der Europäischen Union Kompromisse ausgehandelt werden, er wäre kurz und schlicht: Kein Konsens ohne Drama. Knirscht es zwischen den Mitgliedstaaten, nähert sich deren Spitzenpersonal einem Kompromiss stets zweidimensional. Die Chefs inszenieren für das Publikum zu Hause, also ihre eigenen Wähler, ein dramatisches Schauspiel darüber, wie sie nationale Interessen auf europäischem Parkett verteidigen. Parallel widmen sie sich - meist mit ebenso großer Energie - dem realen Problem.

In diesen Tagen läuft auf der europäischen Bühne das griechische Drama. Regierungschef Alexis Tsipras, Held der Linken, kündigt mit kämpferischen Tönen an, seine Regierung werde Europa, vor allem Deutschland, dazu bewegen, die bisherige Rettungspolitik für von der Pleite bedrohte Länder zu ändern. Keine Verlängerung des Kreditprogramms! Keine Troika-Aufseher! Seine Zustimmungswerte in der Bevölkerung steigen von Tag zu Tag. Bundeskanzlerin Angela Merkel, Vertreterin der Solidität, hält dagegen. Neue Regeln? Nicht verhandelbar. Es gilt: Kredite nur gegen Verpflichtungen. Mit einer strengen Aufsicht, der Troika. Sonst nichts. Auch Merkel weiß um ihre hohen Zustimmungswerte für diese Haltung.

Tsipras muss aufhören, den Helden zu spielen

So weit, so europäisch normal? Mitnichten. Die Parolen, die der Bevölkerung daheim gefallen, machen es den beiden Kontrahenten inzwischen beinahe unmöglich, sich wieder anzunähern, ohne dass mindestens einer das Gesicht verliert. Was da gerade abläuft zwischen Griechenland und den Euro-Partnern, das ist nicht nur das Ringen darum, wie ein dramatisch verschuldetes und unter der Aufsicht internationaler Kreditgeber wirtschaftendes Land wieder dazu gebracht werden kann, selbständig und souverän zu existieren. Es ist auch die Auseinandersetzung darum, ob konservative Regierungschefs einer Regierung aus dem ganz linken Lager gegenüber überhaupt zu Zugeständnissen bereit sind.

Sicher, es wäre interessant, dieses Drama einfach weiterzuverfolgen. Es wird seinem Publikum noch eindrucksvolle Szenen bieten können. So viel Lässigkeit ist allerdings nicht angesagt angesichts des so akuten wie realen Problems: Wie geht es weiter nach dem 28. Februar, wenn das bis dahin gestreckte Kreditprogramm ausläuft? Fakt ist, dass Griechenland bis zum Sommer dringend Geld braucht, um fällige Kreditrückzahlungen zu leisten. Zahlt Athen nicht zurück, wäre ein Austritt aus der Währungsgemeinschaft nicht mehr zu verhindern. Was dann passiert, kann schlicht niemand voraussagen. Die Währungsunion kann den Austritt unbeschadet überleben - oder implodieren. Weil aber Handlungen mit nicht absehbaren Konsequenzen von verantwortungsvollen Politikern üblicherweise vermieden werden, brüten die Unterhändler darüber, wie zu verhindern ist, dass aus dem griechischen Drama eine europäische Tragödie wird.

Nationale und parteipolitische Egoismen dürfen nicht obsiegen

Einen Kompromiss in der Sache zu finden ist noch die leichteste Übung. Die Unterhändler sind geübt im Spiel mit den richtigen Worten, die die politischen Kontrahenten brauchen, um jeden Kompromiss daheim als ihren Sieg verkünden zu können. Die Griechen wollen das Wort "Hilfsprogramm" nicht mehr verwenden? Kein Problem. Es kann ersetzt werden durch einen "neuen Vertrag". Athen mag nicht das bisherige Programm verlängern und stattdessen eine Brückenfinanzierung? Okay. Tsipras will keine Staatsbetriebe mehr privatisieren und stattdessen Geld über den Kampf gegen Steuerhinterziehung einnehmen? Die Deutschen wollen keine Regeln ändern, und trotzdem sollen die Griechen zustimmen? Auch das geht, wenn man die Vereinbarung des laufenden Kreditprogramms als Verhandlungsgrundlage nimmt. Und wenn die griechischen Bürger die Bürokraten der Troika nicht mehr sehen wollen, kann man sich in Brüssel treffen. Oder online. Oder die Zusammensetzung der Troika ändern.

An Verhandlungserfahrung muss ein Kompromiss also nicht platzen. Scheitern kann er allerdings an nationalem wie parteipolitischem Egoismus. Damit muss Schluss sein. Merkel weiß um die nicht sicher vorhersehbaren Folgen eines Austritts Griechenlands aus dem Euro. Das Wissen hat sie schon 2012 bewogen, Athen zu halten. An diesem Status hat sich nichts geändert. Tsipras muss aufhören, den griechischen Helden zu spielen. Europa ist kein vergrößertes Griechenland, sondern eine Gemeinschaft aus 28 Staaten mit berechtigten Interessen und Pflichten. Es bleiben nur noch wenige Tage, das griechische Drama mit einem europäischen Konsens zu beenden.

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Quelle:
SZ vom 11.02.2015
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