Süddeutsche Zeitung

USA: Wirtschaftswachstum:Total abgeschlafft

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Die US-Wirtschaft ist zuletzt kaum noch gewachsen. Das ist gefährlich: Sollten die Vereinigten Staaten in eine Rezession abdriften, wäre der weitere Aufschwung in Deutschland bedroht.

Moritz Koch und Helga Einecke

Trotz gewaltiger Konjunkturprogramme und Null-Zinsen verliert die amerikanische Wirtschaft ihre Dynamik. Das Wachstum im zweiten Quartal ist deutlich geringer ausgefallen, als in ersten Schätzungen veranschlagt worden war. Notenbank-Chef Ben Bernanke zeigt sich besorgt und kündigt an, notfalls noch mehr Geld zu drucken. Laut Regierung hat das Bruttoinlandsprodukt zwischen Anfang April und Ende Juni nur um 1,6 Prozentpunkte zugelegt. Ursprünglich war das Plus auf 2,4 Prozent geschätzt worden.

Die Erholung der USA von der schwersten Wirtschaftskrise seit der Großen Depression kommt deutlich langsamer voran, als von Investoren und Politikern erhofft. Im ersten Quartal war die US-Wirtschaft noch um 3,7 Prozent gewachsen. Ende 2009 waren es gar fünf Prozent. Die Wachstumsschwäche in den USA ist von höchster internationaler Bedeutung. Sollte die größte Volkswirtschaft der Welt erneut in die Rezession abdriften, käme auch der exportgetriebene Aufschwung in Deutschland in Gefahr.

Die Notenbank Federal Reserve steht nun vor der Entscheidung, weitere Maßnahmen für Konjunkturimpulse zu unternehmen. Auf einem Symposium der Fed in Wyoming beratschlagten sich die US-Notenbanker mit ihren Kollegen aus dem Ausland und handverlesenen Experten. Fed-Chef Ben Bernanke kündigte in seiner mit Spannung erwarteten Rede an, dass die Zentralbank bereit ist einzuschreiten, falls sich die Wirtschaftslage "signifikant eintrübt".

Investoren sahen in der Äußerung den bisher deutlichsten Hinweis darauf, dass die Fed um jeden Preis eine Deflation in den USA verhindern will. Japan gilt der Notenbank als warnendes Beispiel. Das Land durchlebte in den 90er Jahren eine verlorene Dekade, nachdem eine Spekulationsblase am Immobilienmarkt geplatzt war.

In seiner Rede am Freitag betonte der Fed-Chef die Möglichkeiten, die der Zentralbank noch blieben, um die Konjunktur zu stimulieren. Zwar betragen die Leitzinsen bereits nahezu Null Prozent. Doch die Fed kann Wertpapiere kaufen und so mehr Geld in den Wirtschaftskreislauf pumpen. Einen ersten Schritt in diese Richtung kündigte Bernanke schon zu Monatsbeginn an, als sie beschloss, ein Programm zum Aufkauf von Wertpapieren fortzuführen, das sie auf dem Höhepunkt der Finanzkrise aufgelegt hatte. Schon dieser Schritt brachte der Fed heftige Kritik ein. Konservative Ökonomen warfen ihr vor, neue Spekulationsblasen aufzupumpen und das Risiko einer hohen Inflation anzuheizen.

Angst vor der Rezession

Liberale Ökonomen dagegen prangerten die Zaghaftigkeit der Entscheidung an. Sie wollen, dass die Fed mehr Geld druckt und begründen das vor allem mit der Notlage der amerikanischen Mittelschicht. "Gefühlt" hat das Land die Rezession nie verlassen. Die meisten Amerikaner haben von der wirtschaftlichen Erholung kaum etwas gespürt. Sie sorgen sich weiter um ihre Jobs und warten darauf, dass der Wert ihrer Häuser wieder steigt - bisher vergeblich.

Die Arbeitslosigkeit verharrt bei über neun Prozent und der Immobilienmarkt liegt weiterhin am Boden. So wurden im Juli so wenig bereits gebaute Häuser verkauft wie seit zehn Jahren nicht. Die Verkaufszahlen für Neubauten fielen sogar auf ihr niedrigstes Niveau seit Beginn der Datenerhebung 1963.

Trotz derart schlechter Nachrichten rechnet Bernanke damit, dass die US-Wirtschaft in der zweiten Jahreshälfte moderat weiterwachsen wird. Für das kommende Jahr erwartet der Fed-Chef sogar einen spürbaren Schub. "Verbesserte private Finanzen, steigende Einkommen und eine gewisse Lockerung der Kreditvergabe werden die Basis für ein schnelleres Wachstum der Haushaltsausgaben im kommenden Jahr bilden", sagte er. Der private Konsum ist die tragende Säule der US-Konjunktur, er macht 70 Prozent der amerikanischen Wirtschaftskraft aus.

Die Börse reagierte erleichtert auf Bernankes Rede. Die Kurse in New York zogen deutlich an. Dagegen geriet der Dollar unter Druck. Das Kalkül der Händler: Kommt mehr Geld in Umlauf, sinkt tendenziell sein Wert.

In Jackson Hole in Wyoming treffen sich derzeit die Top-Notenbanker der Welt. Das Thema der Tagung lautet : "Gesamtwirtschaftliche Herausforderungen: Die nächste Dekade." Fed-Chef Bernanke, EZB-Präsident Jean-Claude Trichet und ihr japanischer Kollege Masaaki Shirakawa müssen jedoch zunächst eine Bilanz zur Finanzkrise ziehen, die nicht sehr günstig ausfällt. Bisher können sich die führenden Industrienationen nicht auf einheitliche Standards für Banken und Finanzmärkte einigen, obwohl sie die globale Bekämpfung der Auswüchse häufig beschworen und angekündigt hatten.

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Quelle:
SZ vom 28.08.2010
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